Familie Bender, Oberried

Lebensraum Wittenbach

Silke und Jürgen Bender haben außerfamiliär übernommen. Ihren Hof erwarben sie bereits vor 25 Jahren, später kam ein zweiter hinzu. Es ist eine Höhenlandwirtschaft – deren Zukunft sie in einer Stiftung sehen.

Von Mathias Heybrock

Der Untere Wittenbach liegt auf gut 900 Metern Höhe im Tal von St. Wilhelm, einem Ortsteil von Oberried. Es ist ein klassischer Schwarzwaldhof, kompakt, wunderbar anzuschauen. Anno Domini 1774, sagt eine verschnörkelte Inschrift. Neben der Tür prangt der imposante Schädel eines Stiers.

«Das ist Ludwig», stellt Silke Bender vor. Ludwig war lange Jahre Zuchtbulle auf dem Unteren Wittenbach. Spät in seinem Leben brachte er es zu einiger TV-Berühmtheit – doch das ist eine andere Geschichte.

Nach Ludwigs Tod hat Georg, der jüngste Sohn der Benders, den Schädel gebleicht und an der Hauswand angebracht. «Ist eigentlich ja eher ein bisschen amerikanisch», wie Silke Bender mit leicht skeptischem Unterton findet.

Sie ist in Staufen geboren. «Mein Vater war Versicherungskaufmann. Mit Landwirtschaft hatte ich nichts am Hut.» Jedenfalls nicht, bis sie Jürgen traf, der im nordbadischen Städtchen Calw aufwuchs. Er arbeitete dort als Feinmechaniker, war aber unglücklich in diesem Job.

Jürgen wollte eine eigene Landwirtschaft – und zwar nach seinen Vorstellungen, biologisch dynamisch. «Und ich», sagt Silke, «hab gesagt: Ja, kann ich mir vorstellen!»

Nach Staufen kam Bender, weil er dort auf dem Hof eines Freundes zwei Kühe halten konnte. «Das war der Anfang», erzählt seine Frau. «Er hat versucht, sich etwas aufzubauen.» Bender schlug damals auch schon Holz, ganz traditionell, herausgerückt mit dem Pferd. Er wollte eine eigene Landwirtschaft – und zwar nach seinen Vorstellungen, biologisch dynamisch. «Und ich», sagt Silke, «hab gesagt: Ja, kann ich mir vorstellen!»

Die Suche nach einem eigenen Hof ging lang und führte Benders weit fort. Bis nach Thüringen, um genau zu sein, wo sie mit zwei Landwirten über eine Hofübernahme sprachen. Es hat sich aber in beiden Fällen zerschlagen.

«In einem Fall wollte der alte Bauer gern auf dem Hof bleiben», berichtet Silke. «Das war aber ein sehr starker Charakter. Wir hatten nicht das Gefühl, dass der uns einfach machen lässt. Der hätte womöglich noch vorgeschrieben, wieviel Milch in den Kaffee kommt. Jürgen aber hatte sich in seiner Ausbildung lange genug alles vorschreiben lassen. Er hat das gehasst. Er wusste selbst, was er wollte und was nicht.»

»Jürgen hatte sich in seiner Ausbildung lange genug alles vorschreiben lassen. Er hat das gehasst. Er wusste selbst, was er wollte und was nicht.»

Zudem hatte Jürgen Bender sich inzwischen selbstständig gemacht, mit einem Forstbetrieb. Bei der Arbeit hörte er eines Tages vom Hof Unterer Wittenbach, der sich im Besitz des staatlichen Forstes befand. Wie damals einige Höfe im Schwarzwald. Im nahen Zastlertal zum Beispiel, das sich aufgrund dieses Phänomens – Bauernhöfe in Staatsbesitz – im «Spiegel» als «Das rote Tal» beschrieben fand.

«Der Untere Wittenbach wurde lange als Unterkunft für Forstleute genutzt, die nebenher auch noch ein paar Kühe hielten», erzählt Silke. «Als wir ihn uns anschauten, stand er aber bereits zehn Jahre lang leer. Er war ziemlich verfallen.»

Die Kosten der Instandsetzung übernahm der Forst. Benders steckten zudem viel Eigenleistung hinein, wodurch sich die Miete reduzierte. Zunächst nämlich war der Hof gemietet. Inzwischen hat die Familie ihn gekauft. Vier Kinder wurden dort groß. Drei sind bereits ausgezogen, allein Georg lebt noch daheim.

20 Hektar Land bewirtschaften die Benders, langfristig gepachtet. Sie halten Hühner und Ziegen, zwei Schweine und Rinder in Mutterkuhhaltung. Zum Schlachten kommt das Vieh zu einem Metzger nach Sölden.

«Früher haben wir auch gemolken», erzählt Silke. Nur zur Selbstversorgung allerdings. Im Moment melken sie nicht mehr, weil sie zu dritt nicht so viel Milch brauchen. Und weil es Arbeitszeit spart. Jeden Abend die Kühe zum Melken in den Stall treiben, jeden morgen nach dem Melken wieder heraus. «Drei Stunden pro Tag sind es mindestens», sagt Bender, die gleichwohl überlegt, ob die Familie das Melken wieder anfangen soll. «Ich finde, irgendwie gehört es dazu.»   

Als Benders vor 25 Jahren auf den Unteren Wittenbach zogen, war der Wald ziemlich nah. «Mein Mann musste hier erst einmal öffnen.» Wenn man heute auf der Bank vor dem Hof sitzt, schaut man auf lichte Hänge, teilweise von uralten Trockenmauern durchzogen. «Unsere Ziegen halten die aber natürlich nicht auf, da ziehen wir eigene Zäune.»

Linker Hand, gut 200 Meter Luftlinie das Tal hoch, lugt hinter einer Baumgruppe ein weiterer Schwarzwaldhof hervor: Der Mittlere Wittenbach. Er ist nicht minder schön als der Untere – ja, womöglich noch einen Hauch urtümlicher.

«Als wir hier ankamen, lebte dort noch die alte Bauersfrau Anna», erinnert sich Silke Bender. «Das war eine tolle Frau, wir kamen prima miteinander aus.» Anna erzählte, wie es früher in der Landwirtschaft war. Sie stammte vom Mittleren Wittenbach, ihr Mann kam aus dem Freiburger Stadtteil St. Georgen – wo er Reben und Getreide als weitere ökonomische Standbeine hatte.

«Der Austausch war rege, wir waren froh, dass sie da war. Wir gingen ihr auch manchmal ein bisschen zur Hand», erinnert Silke sich. Im Jahre 2000 ist Anna dann gestorben.

Der Hof war anschließend zunächst zehn Jahre lang anderweitig vermietet, ohne Landwirtschaft. Dann einigten Silke und Jürgen Bender sich mit den Erben auf eine Nutzung durch die Familie Bender – in einem zunächst auf sieben Jahre angelegten Vertrag.

Den Ökonomieteil des Mittleren Wittenbach haben sie jetzt übernommen, dort stehen im Winter die Ziegen. Aus dem Hof selbst machten Benders eine Ferienwohnung. Genau eine –  das Innere wurde also nicht parzelliert, sondern blieb in seinem ursprünglichen Zuschnitt erhalten.

Unten die Wohnstube mit Küche, oben drei Zimmer, liebe- und stilvoll eingerichtet. Fernsehen und Internet gibt es nicht: «Das sag ich bei allen Interessenten immer noch einmal ausdrücklich dazu.»

Dafür weiden Benders Ziegen direkt vor der Haustür. «Und wenn unsere Gäste Kinder haben, kommen die natürlich auch gern zu uns herunter, zu unseren Katzen und Hunden.»

Wie für viele Landwirte ist der Tourismus für auch für Familie Bender ein wichtiges Standbein geworden: Ihr Gäste erhalten Naturerlebnisse und Einblick in naturnahe Landwirtschaft, die Familie im Gegenzug zusätzliche Einnahmen. «Das läuft sehr gut», ist Silke Bender zufrieden. Muss es allerdings beinahe auch, wie sie fortfährt, denn: «Von Landwirtschaft lässt sich hier oben nicht leben.»

«Wir haben uns das vor Kurzem einmal ausgerechnet», erklärt die Landfrau. «Wenn wir unsere Arbeitszeit einrechnen – und zwar ganz moderat, nicht als die langen Tage, die es oft sind. Dann müssen wir feststellen: Der Hof hat uns in diesen 25 Jahren keinen Cent gebracht. Im Gegenteil, er hat gekostet.» 

Das ist kein gutes Modell, und erst recht keines mit Zukunft. Die Benders werden ja nicht jünger, denken allmählich über mögliche Nachfolger nach. «Was, wenn der- oder diejenige keine Möglichkeiten hat, den Hof durch eine andere Arbeit mitzufinanzieren?», fragt Silke Bender. Auch die Einnahmen aus der Ferienvermietung seien nicht auf ewig sicher.

Benders haben sich deswegen folgende Lösung überlegt: Sie wollen eine Stiftung gründen, die Lebensraum Wittenbach heißen soll. «Uns gaben bereits mehrere Menschen das Signal, dass sie das eine hervorragende Idee finden, dass sie zu diesen Zweck Kapital stiften würden», sagt Silke.

Der Antrag liegt nun beim Regierungspräsidium, das freilich noch Bedenken hat. Dort überlegt man, ob eine dem Gemeinwohl verpflichtete Stiftung einen «Wirtschaftsbetrieb» unterstützen darf.

„Natürlich sind wir als landwirtschaftlicher Betrieb angemeldet, wie jeder Hof“, entgegnet Bender. «Aber wir produzieren hier oben keine Erzeugnisse in dem Sinn, das wir gewinnbringend verkaufen. Wir selbst nennen es deswegen auch gar nicht mehr Landwirtschaft. Das was wir machen, nennen wir Offenhaltung der Landschaft. Es ist Naturschutz.»

Der Untere Wittenbach liegt mitten im Naturschutzgebiet Feldberg. Die Benders bewirtschaften Steillagen, die kleinteilig und arbeitsintensiv sind. Die Trockenmauern sind ein Refugium für Insekten und Eidechsen, ein Nistplatz für Vögel – und herrlich anzuschauen. Wirtschaftlich sind sie nicht. Vieles muss hier oben von Hand geschehen. Erst recht auf den Sumpf- und Feuchtflächen, die die Benders bewirtschaften. Ein Schlepper würde dort einsinken.

Wer zu Besuch ist, empfindet die Gegend als Idyll, insbesondere wenn die Sonne so angenehm scheint wie heute: Zwei knorrige alte Höfe, in die grüne Landschaft gekleckst.

«Für uns ist aber keineswegs jeden Tag ein Idyll», sagt Frau Bender. Es ist harte, körperlich zehrende Arbeit, die Landschaft so zu erhalten wie sie ist. Es ist zudem eine Arbeit für die Allgemeinheit – Naturschutz dient dem Gemeinwohl.

Vor Kurzem kam jemand von der Naturschutzbehörde, der anschließend bestätigte, das eine solche Höhenlandwirtschaft mit gewinnbringendem Wirtschaften nicht in Einklang zu bringen ist. «Jetzt hoffen wir», so Bender, «dass das akzeptiert wird.» Ganz ausgemacht ist es noch nicht.

Was freilich bereits sicher ist, ist, dass Benders hier oben bleiben wollen, auch nach der Rente. Deswegen bauen sie gerade einen Teil der Scheune zu einer separaten Wohnung aus.

Zunächst einmal wird Benders Tochter Maria einziehen, die im Moment mit Mann und Kind in Oberried wohnt. Das allerdings ist nur eine Zwischennutzung. Perspektivisch ist die Wohnung für diejenigen gedacht, die den Hof einmal übernehmen. Sei es familiär. Oder außerfamiliär.

Wenn der Sohn zurückkommt und dann tatsächlich übernehmen will – dann sind die Benders entschlossen, ihm den Freiraum zu geben, den ihnen selbst der Thüringer Bauer nicht geben konnte oder wollte.

«Unter den Kindern hat nur Georg Interesse», erzählt seine Mutter, er möchte eine Ausbildung zum Landwirt machen. «Im Moment aber hat er wohl manchmal das Gefühl, es könne schwer werden, unsere Erwartungen zu erfüllen», ergänzt sie dann.

Silke und Jürgen Bender unterhalten sich inzwischen viel darüber, was das bedeuten wird, gemeinsam mit dem Nachfolger auf dem Hof zu sein, gerade in psychologischer Hinsicht.

«Nach so vielen Jahren Berufserfahrung ist Jürgen selbst ein ziemlich starker Charakter mit klaren Vorstellungen, wie es laufen soll», berichtet seine Frau. «Andererseits erinnert er sich aber auch ganz genau, wie wenig er es selbst das Hereinreden gemocht hat. Ich glaube also, wir kriegen das hin.»

Georg nimmt sich jetzt ohnehin erst einmal eine Pause von den Eltern, ein Jahr Neuseeland. Seine Mutter findet das gut. Weil sich so etwas löst, weil für alle Räume entstehen, die dann neu und anders definiert werden können.

Wenn der Bub zurückkommt und dann tatsächlich übernehmen will – dann sind die Benders entschlossen, Georg den Freiraum zu geben, den ihnen selbst der Thüringer Bauer nicht geben konnte oder wollte. Ein erstes Zeichen dafür ist gesetzt: Georg durfte schließlich den Schädel von Ludwig anbringen.

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