«Dieser Hof! Und kein anderer!»
Bei der Suche nach einem Hof hatten die Familie Albrecht sowie Oliver Albrecht sehr klare Vorstellungen. Ausdauer führte zum Ziel. Und ein engagierter Bürgermeister.
Von Mathias Heybrock
«Eigentlich war der Vertrag schon unterschrieben», erinnert sich Oliver Albrecht. Für einen Hof im Donautal, alles geregelt.
Doch Holger Albrecht, der die Verhandlungen geführt hatte, wurde letzte Zweifel nicht los. Es war ein guter Hof, absolut. Aber stand er auch gut? War es der richtige Ort, die richtige Landschaft für den Rest des Lebens?
Sechs lange Jahre hatte die Suche nach einem Hof inzwischen gedauert. Holger Albrecht entschied sich trotzdem gegen die Unterschrift.
«Da muss wohl etwas in der Luft gelegen haben», vermutet sein Bruder Oliver. «Denn zwei Wochen später kam die Nachricht, dass das mit dem Windberghof klappt.»
Der Windberghof liegt oberen Windbergtal – einen zwanzigminütigen Fußmarsch auf Forstwegen von St. Blasien entfernt. Ursprünglich war er einmal im Besitz des Klosters St. Blasien, ehe ihn 1806 der Staat übernahm. Heute leben fünf Menschen dort: Martina und Holger Albrecht mit ihren Kindern Elias und Johannes, die den Hof hauptberuflich bewirtschaften. Und Oliver Albrecht, der sein Geld als Musiklehrer verdient und nach dieser Arbeit viel auf dem Hof mithilft.
«Mit Landwirtschaft hatten wir lange Zeit nichts zu tun»
Landwirtschaft kennen die beiden Brüder durch ihre Großeltern. «Die hatten einen kleinen Hof auf der Baar.» Die eigenen Eltern hatten dann aber mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun. «Und wir», sagt Oliver, «lange Zeit eigentlich auch nicht.»
Er selbst hatte die Musik im Sinn und nahm nach dem Abitur ein Musik-Studium auf. Holger lernte zunächst Industriekaufmann, wurde aber nicht glücklich mit dieser Wahl. Er machte dann eine Ausbildung in der Landwirtschaft und merkte – das ist es! Seine Frau Martina, eine gelernte Schreinerin, hat Holger bei dieser Ausbildung kennengelernt, die er anschließend mit einem Studium der Landwirtschaft an der Universität Hohenheim ergänzte.
Die Suche nach einem eigenen Hof führte ihn und seine Frau zunächst nach Langenschiltach bei St. Georgen. Bei einem Bauern dort konnten sie das Leibgeding bewohnen und vier Hektar Land bewirtschaften. Oliver hatte zu diesem Zeitpunkt gerade sein Musikstudium abgeschlossen und suchte eine Bleibe. Im Leibgeding war noch Platz.
Im Leibgeding wird es eng
Man verstand sich gut, kam auch mit dem Bauern nebenan zurecht. Vier Hektar Land jedoch waren zu wenig. Jedenfalls für die hauptberufliche Landwirtschaft, die Martina und Holger sich vorstellten. Als dann ihre Kinder geboren wurden, wurde es im Leibgeding zudem ziemlich eng.
Die Suche nach einem eigenen Hof mit mehr Fläche hat anschließend bis nach Schweden geführt. Auch in Brandenburg schaute Holger sich einiges an, Mitte der 90er Jahre.
«Das waren oft sehr schöne Höfe», erzählt Oliver. Doch existierten damals noch die alten Strukturen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) aus DDR-Zeiten. Wenn man im Schwarzwald eher zu wenig Fläche angeboten bekam, war es in Brandenburg zu viel: «Da gehörten dann 1000 Hektar dazu – nicht die 50, die wir uns vorstellten.»
Auch wurde man auf den ostdeutschen Dörfern damals noch etwas schräg angeschaut, wenn man aus dem Westen kam. Holger meinte, die Übernahme-Ängste, aber auch Ressentiments zuweilen förmlich mit den Händen greifen zu können.
Die Recherche-Reisen erfüllten dennoch ihren Zweck. Sie machten den Hofsuchenden nämlich klar, dass es ohnehin eigentlich der Schwarzwald war, wo sie leben und arbeiten wollten. Das war «ihre» Landschaft, dort fühlten sie sich wohl.
«Unser Anforderungskatalog war schon speziell»
Von nun an konzentrierte sich die Suche auf diese Region. Die Vorstellungen waren dabei sehr klar: Es sollte ein historischer Hof sein. «Das war so ein bisschen mein Wunsch», erklärt Oliver, der sich für die Restaurierung alter Gebäude interessiert.
Der Hof sollte sich zudem in Alleinlage befinden. Und: Die Albrechts wollten ihn alleine bewirtschaften – also ohne dass die vorherigen Besitzer noch anwesend sind.
«Dieser Anforderungskatalog war schon speziell», gibt Oliver zu. Und die Wunschliste war ja noch nicht zu Ende. Die Albrechts wollten den Hof biologisch führen. «Offenbar ein unanständiges Wort», bemerkt der Musiker Albrecht süffisant – jedenfalls hätten viele potenzielle Verkäufer darauf allergisch reagiert. Als Holger bei einer Hofbesichtigung einmal bemerkte, aus dem alten Anbindestall würden sie aber natürlich einen Laufstall machen, war das Gespräch ebenfalls schnell zu Ende.
Hatten die Hofsuchenden zunächst Freunde und Bekannte nach Tipps und Hinweisen gefragt, gingen sie die Sache in einem nächsten Schritt systematischer an. Sie schrieben gezielt alle Gemeinden im Schwarzwald an: Mit einer Art Hof-Stellengesuch.
Das Telefon klingelt
«Wir erhielten daraufhin fünf oder sechs Angebote», erzählt Oliver, «aber etwas richtig Interessantes war nicht dabei». Ein Jahr nach ihrem Gemeinde-Anschreiben, die Albrechts hatten schon nicht mehr mit einer weiteren Reaktion gerechnet, klingelte dann plötzlich das Telefon.
Der Herr am anderen Ende der Leitung stellte sich als Mitarbeiter der Gemeinde-Verwaltung St. Blasien vor. Erst später stellten Albrechts fest, dass es der damalige Bürgermeister von St. Blasien höchstpersönlich war, Johann Meier.
Meier wusste von einem Hof, auf den das Gesuch der Albrechts passen könnte. Eben der Windberghof, abgeschieden gelegen, aber gleichzeitig doch gut an St. Blasien angebunden. Oliver Albrecht erinnert sich noch, wie der Besichtigungstermin ablief: «Wir wussten sofort: Dieser Hof soll es sein!»
Das Problem freilich war, dass er sich nicht im Besitz der Gemeinde St. Blasien befand. Er gehörte dem Liegenschaftsamt Konstanz, dessen Interesse eigentlich war, einen möglichst hohen Verkaufswert zu erlösen. «Ein solventer Investor, der den Hof abreißt und sich stattdessen eine Villa baut, wäre denen auch Recht gewesen», glaubt Oliver Albrecht.
Dem Engagement des Bürgermeisters Meier war es zu verdanken, dass bei der Ausschreibung des Hofes die Rechtslage klar blieb: Wechselt nämlich ein Hof den Besitzer hat eine zukünftige landwirtschaftliche Nutzung Vorrang vor allen anderen möglichen Nutzungsformen. Auf den Flächen der Stadt St. Blasien, also ohne die Eingemeindungen wie etwa Menzenschwand, gibt es nur noch einen einzigen landwirtschaftlichen Betrieb, den Glashof. «Herrn Meier war sehr daran gelegen, dass mit dem Windberghof wenigstens ein zweiter erhalten blieb», so Oliver Albrecht.
«Wir haben da nicht groß gepokert»
Es kam schließlich zu einer Blindversteigerung, bei der alle Interessierten ein Gebot abgaben – ohne zu wissen, in welcher Höhe die anderen boten. «Wir haben da aber trotzdem nicht groß gepokert», erinnert sich Oliver. «Wir kannten einen Sachverständigen, dem wir vertrauten. Der sagte uns die Summe, die der Hof wert ist. Die haben wir dann geboten.» Und den Zuschlag bekommen. Zwei Wochen, nachdem Holger den Hof im oberen Donautal abgesagt hatte.
Doch wie heißt es so schön: Sei vorsichtig mit dem, was Du Dir wünscht – vielleicht geht es in Erfüllung. Die Albrechts hatten nun den Hof, den sie wollten. Allerdings war er in einem sehr schlechten Zustand. Es war seit Ewigkeiten nichts mehr an ihm gemacht worden, auch die Landwirtschaft war nicht mehr in Betrieb.
Zehn Jahre ohne freie Minute
Hof und Nutzflächen wieder herzurichten, war eine kräftezehrende Arbeit: Zehn lange Jahre, in denen nahezu jede freie Minute investiert werden musste. Fast alles geschah in Eigenleistung. Ein Bauunternehmen beauftragen, wäre nicht gegangen, sagt Oliver Albrecht: «Das wären Hunderttausende von Euro geworden. Die hatten wir nicht und hätten die Summen durch den Hof auch niemals refinanziert bekommen.»
Für die Restaurierung richteten Albrechts zunächst zwei Werkstätten für Schreiner- und Schlosserarbeiten ein. Für eine möglichst authentische Instandsetzung zogen sie alte handwerkliche Lehrbücher zu Rate. Marode Strukturen wurden ausschließlich durch historische Baumaterialien aus anderen Höfen oder Häusern ersetzt. Aus der Zeit sind Albrechts in ihrem historischen Gebäude aber nicht. Es gibt eine Spülmaschine und natürlich auch Internet. Der Laufstall, der in den entkernten Stall des Eindachhofes eingepasst wurde, ist landwirtschaftlich auf dem neuesten Stand.
«Nach einem halben Jahr waren wir integriert»
St. Blasien habe sie von Beginn an gut aufgenommen, findet Oliver Abrecht. «Nach einem halben Jahr waren wir integriert.» Dabei half, dass Menschen von der Baar sich vielleicht einfach in die Schwarzwälder Kultur fügen als solche aus, sagen wir, Brandenburg. «Doch der Hauptgrund war wohl, dass sie sofort gesehen haben, dass wir fleißig sind.»
Rückblickend meint Oliver Albrecht, er sei sich nicht ganz sicher, «ob wir uns für den Hof auch dann entschieden hätten, wenn wir schon gewusst hätten, wieviel Arbeit da auf uns zukommt.» Der Tipp, den er und sein Bruder heutigen Hofsuchenden gibt, lautet deswegen auch: «Übernimm keinen Hof, der nicht funktioniert.»
Der Windberghof freilich steht nun, nach all den Mühen, wohlgefällig in der Landschaft: Ein Haus, das längst die gesamte Gemeinde mit Stolz erfüllt und auch überregional große Anziehungskraft entwickelt, etwa auf die Filmbranche: Bislang fünf Mal diente der Hof als Kulisse für Film- und Fernsehproduktionen, unter anderem wurde eine «Tatort»-Folge dort gedreht.
«Mehr Fläche braucht es nicht mehr zu werden»
Das ist eine schöne Bestätigung, dass man gute Arbeit geleistet hat, bleibt aber natürlich Nebeneffekt. Der Hof produziert in der Hautsache Käse aus Ziegen- und Kuhmilch. Jeden Freitag fährt Martina Albrecht auf den Bauernmarkt von St. Blasien, um ihn dort zu verkaufen.
Inzwischen dienen 57 Hektar den Tieren als Weide und Mähfläche – begonnen haben die Albrechts einmal mit 27. «Mehr Fläche braucht es nicht mehr zu werden», sagt Oliver. Weniger dürfte es für einen Betrieb im Vollerwerb aber auch nicht sein: «Wir sind hier auf gut 1000 Meter Höher, in subalpinen Gefilden.»
Der Ertrag sei grenzwertig: «Was wir mit unseren Flächen generieren, könnten wir im Raum St. Georgen wohl mit der Hälfte erreichen», so Oliver. An den satten Ausläufern zum Bodensee reichte womöglich ein Viertel. «Schwarzwald ist eben nicht gleich Schwarzwald», sagt Oliver: «Unsere Flächen sind so mager, dass wir die Tiere nur einmal am Tag melken.»
Die Kinder von Martina und Holger werden jetzt allmählich erwachsen. Wie sie es später einmal mit dem Hof halten werden, ist noch unklar. Aber das stört niemanden. Die beiden Vollerwerb-Landwirte haben die 50 noch nicht erreicht – also noch einige Berufsjahre vor sich.
«Wir haben den Hof geprägt. Und er uns»
Ihnen und auch Oliver Albrecht ist aber schon klar, dass sie selbst nie mehr von dort oben fort wollten. «Ich verstehe jetzt alle Landwirte, die ihren Hof auch nach dem Ende des Arbeitslebens nicht verlassen», erklärt Oliver. Heute sprechen ja alle davon, wie sehr Leben und Arbeit miteinander verzahnt sind. In der Landwirtschaft habe das schon immer gegolten: «Wir haben den Hof geprägt und die Landschaft, die ihn umgibt. Und beides hat umgekehrt uns geprägt. Ich bin hier verwurzelt und möchte das nicht mehr aufgeben.»
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