Familie Till, Schluchsee

«Wenn es um die Flächen geht, lernt man sich kennen»

Familie Till hat ihren Hof vor über 30 Jahren neu gegründet und aus dem Bauchgefühl heraus aufgebaut. Der Nachfolger macht jetzt einen Plan.

Mathias Heybrock

Wenn man vom Schluchsee aus in Richtung Menzenschwand fährt, passiert man in Äule den Demeter-Hof der Familie Till. Zunächst sieht man rechts den Stall liegen, kurz darauf führt eine Stichstraße zum Hof, der ursprünglich mal ein Waldarbeiter-Anwesen war.

Seit 32 Jahren lebt und arbeitet die Familie Till dort. «17 Hektar Land waren damals dabei», erinnert sich der 64-jährige Heinrich Till. Inzwischen bewirtschaftet er 75 Hektar. «Wenn mir das jemand einmal prophezeit hätte – ich hätte es nicht geglaubt.»

Schließlich war nicht einmal ausgemacht, dass Heinrich Till überhaupt Landwirt wird. Als Gymnasiast am Niederrhein stand er kurz davor, ein Studium zu beginnen, wie die meisten seiner Mitschüler.

Sicher war er sich bei diesem Bildungsweg allerdings nicht. «Ich hatte Schule immer langweilig gefunden, mit Ausnahme von Sport und Kunst», so Till. Das künstlerische Talent hatte auch der Kunstlehrer längst erkennt, der seinem Schüler riet, doch eher in diese Richtung zu gehen. Vielleicht eine Lehre in einer Töpferei?

Was will ich, was macht mich glücklich? Till war auf der Suche – und dabei fielen ihm Kindheitserinnerungen ein. Der Bruder seines Großvaters hatte einen Hof mit ein paar Kühen, Till war als Bub dort oft zu Besuch. Er erinnert sich, wie er heimlich Kuhmilch naschte, direkt vom Euter in den Mund, ein wohliges, heimeliges Gefühl. «Und als ich dann das erste Mal die Melkmaschine anlegen durfte, war ich happy.» 

«Ich habe mich auf diesem Hof wohl und aufgehoben gefühlt. Wie andere vielleicht in der Kirche»

Ihm gefielen die geregelten Abläufe. Erst den Futtertrog säubern. Dann neues Futter herein tun. Erst ausmisten, dann neues Stroh in den Stall. Till erlebte das als sinnvolles Tun: «Ich habe mich auf diesem Hof wohl und aufgehoben gefühlt. Wie andere vielleicht in der Kirche.»

Wenn man heute mit dem Landwirt über diese Erfahrungen spricht, merkt man deutlich, wie intensiv diese Eindrücke für ihn waren, wie elementar. Sich selbst beschreibt Till als eine «eher chaotische» Person: «Die Landwirtschaft verleiht mir Struktur. Sie erdet mich. Das kann man so sagen.»

Die Konsequenz: Till brach das Gymnasium kurz vor dem Abitur ab und suchte sich einen Ausbildungsplatz in den Landwirtschaft. Er war allerdings nicht der Einzige. In den frühen 70er Jahren begann die Biobewegung, viele junge Menschen strömten aufs Land, Ausbildungsplätze wurden rar. 

«Landwirtschaft verleiht mir Struktur. Sie erdet mich»

In Franken jedoch fand Till schließlich einen Biohof. Allerdings einen mit 400 Hektar Land, 80 Kühen, vielen Angestellten. Das Gegenteil von dem kleinen, im Nebenerwerb geführten Betrieb, der Tills Bild von der Landwirtschaft geprägt hatte: «Mein Traum war das nicht.» 

Zwei wichtige Dinge habe er dort aber gelernt. Erstens, durchzuhalten – «das war wichtig, ich hatte ja schon das Abi geschmissen.» Und zweitens, eben nicht nur durchzuhalten, auszusitzen, abzuwarten. Sondern die Ausbildungszeit positiv zu gestalten. 

Till war ein engagierter Lehrling, das wurde gesehen und anerkannt. Er gewann sogar einen Wettbewerb, der als Preis ein vierwöchiges Praktikum bei einem Waldbauern am Inn ausgeschrieben hatte. Dort lernte der angehende Landwirt seine spätere Frau Christin kennen, eine Germanistin und gelernte Heilpraktikerin, die ebenfalls in die Landwirtschaft wollte.

«Unser erster Sohn Daniel machte auf einer Alp die ersten Schritte»

Nach der Ausbildung ging Till zunächst ein Jahr lang allein auf eine Alp im Tessin. Den Sommer darauf verbrachte er mit Christin auf einer Alp im Berner Oberland. Das Paar kam in den darauf folgenden Sommern wieder, erlernte das Käsen. «Unser erster Sohn Daniel machte auf dieser Alp die ersten Schritte.» 

Mit der Geburt des ersten Kindes war allerdings auch der Zeitpunkt erreicht, wo die Familie nach etwas Festerem zu suchen begann. Die Tills schalteten Anzeigen, erfuhren schließlich durch einen alten Schulfreund Heinrichs, dass ein Hof in Grafenhausen Mitarbeiter suchte. Auf diesem Hof erzählte ihnen dann jemand von dem Waldarbeiter-Haus in Äule.

Es wurde die Keimzelle der eigenen Landwirtschaft. Von der Ausrichtung her ist sie näher an dem kleinen Hof aus Heinrichs Kindheit als an dem Betrieb, auf dem er seine Ausbildung absolvierte. Sie sollte aber dennoch eine Familie ernähren, also nicht als Nebenerwerb konzipiert sein. 

«Ich habe nie verstanden, dass eine Molkerei mir sagen kann, welchen Preis sie für die Milch festsetzt»

Von Anfang an wurde diese Landwirtschaft als Biohof geführt: Die Tills sind seit Beginn ihrer Tätigkeit im Demeter-Verband. Auch dass sie selbst vermarkten wollten, stand gleich fest. 

«Ich habe nie verstanden, dass eine Molkerei mir sagen kann, welchen Preis sie für die Milch festsetzt», erklärt Till. «Ich finde das fast ein bisschen feudal. Ich möchte den Preis für meine Arbeit selbst festlegen. Keinen Mondpreis selbstverständlich, einen, der sich am Markt orientiert. Aber eben doch: Meinen eigenen Preis.» 

Ein eigener Preis – das ging mit eigenem Käse. Wenn Familie Till den Erlös für einen ganzen Laib auf den Rohstoff Milch umrechnet, ist der Liter etwa zwei Euro wert. Eine Molkerei, die 60 Cent zahlt, zahlt bereits viel. Natürlich bedingt die Käseherstellung für den Hof auch mehr Arbeitsschritte als die Produktion von Rohmilch – aber dennoch bleibt mehr Wertschöpfung auf dem Hof.

Diesen Weg konnten die Tills auch deswegen so gut beschreiten, weil sie die Käse-Herstellung bereits kannten. «In unseren Jahren auf der Alp haben wir von einem Käser gelernt, der uns wertvolle Tipps gab», so Heinrich Till. Seine Frau Christin ist in der Küche, macht dort den Käse, betreut auch den Verkauf. Tills Bereich ist «draußen», die Tiere und Felder und Maschinen.  

«Wir hatten bald die Möglichkeit, weiter in den Hof zu investieren»

Man habe damals zudem das große Glück gehabt, kurz nach Hofgründung über die Demeter-Assoziation von dem kleinen Markt der Walddorfschule im Freiburger Stadtteil St. Georgen zu erfahren, der einen Stand frei hatte. «Das hat uns sehr geholfen.»

Die Familie ist heute noch dankbar, dass es gleich so gut lief. «Wir hatten bald die Möglichkeit, weiter in den Hof zu investieren.» Nach zehn Jahren konnten sie das Waldarbeiter-Haus kaufen, das sie bis dahin zur Miete bewohnt hatten. Irgendwann war es sogar so, dass die Ware knapp wurde, wenn gleichzeitig im eigenen Hofladen und auf dem Freiburger Markt verkauft wurde.

«Freiburg war und ist für uns sehr wichtig. Aber hier jemanden wieder wegschicken zu müssen – das wollten wir auch nicht», erinnert Heinrich sich. Also vergrößerte die Familie: Mehr Fläche, mehr Tiere und einen neuen Stall – für den sie zum ersten Mal einen Kredit bei einer Bank aufnahmen: «Vorher haben wir nur ausgegeben, was wir verdienten. Maschinen wurden gebraucht gekauft. Einen Traktor dann eben für 3000 Euro anstatt für 80.000.»

Mehr Flächen

Weitere, zum Wachstum notwendige Flächen hätten sich «immer eher so ergeben», so Till. Erst kamen vom sie vom direkten Nachbarn, der seinen Hof aufgab. Dann von einem weiteren Nachbarn, der im Nebenerwerb gewirtschaftet hatte und starb, ohne einen Nachfolger zu haben.

Später schließlich erhielt Familie Till Flächen auch aus der Nachbargemeine Menzenschwand. «Da half uns vielleicht, dass wir von Außen kam – untereinander haben sie sich die Flächen nicht immer gegönnt», erinnert sich Till. Er war aber auch ein guter Abnehmer: Er diskutierte oder feilschte nicht und nahm, was man ihm anbot. Auch die weniger ertragreichen Abschnitte der Hänge, die ganz steilen oder feuchten.

Heute ist es für Landwirte schwieriger an Flächen zu kommen – für Neueinsteiger natürlich erst recht. «Die Kosten werden immer höher, also muss auch die Produktivität wachsen. Das geht nur mit mehr Flächen», erklärt Till die Knappheit des Angebots. 

Konflikte und Schwierigkeiten kennt freilich auch er aus eigener Erfahrung. In einem Fall musste er über die Ämter gehen, um sein Recht zu erhalten. «Wenn’s um die Flächen geht, lernt man sich selbst kennen», fasst Till zusammen: «Ich habe schon auch an mir selbst gespürt, was das mit einem macht. Wie gut es sich anfühlt, wenn man auf dem Traktor sitzt und über «seine» Flächen fährt.»

Die tragende und die treibende Kraft

«Ich würde mich als die treibende Kraft unseres Hofes bezeichnen», erklärt Heinrich: «Und Christin als die tragende Kraft. Ohne sie hätte unser Tun keinen „Inhalt“ bekommen, keine Nachhaltigkeit. Sie ist die beständige, ruhige Kraft. In der Familie, im Betrieb und auch nach Außen.»

Die Kindern hätten ebenfalls mitgetragen, fährt der Landwirt fort, der auch die Mitarbeiter erwähnt. „Die haben sich ebenfalls für unsere Ziele begeistert, haben selbst in schwierigen Zeiten durchgehalten. Die sind auch an unserer Entwicklung beteiligt. 

«Es gab schon eine Zeit, da habe ich gedacht: „Der Hof bin ich!“» 

Dabei ist Till wichtig, dass Entwicklung keineswegs nur etwas Äußeres ist – also etwa ein allmählich wachsender Hof: «Eine nur äußere Entwicklung macht irgendwie leer, kann sogar zu Zerfall führen», sagt er. «Innere, persönliche Entwicklung ist mindestens ebenso wichtig. Vielleicht wichtiger.» Dass sie gemeinsam gelang, erfüllt ihn mit Dankbarkeit.

Sich selbst beschreibt Till als einen Workaholic, der dem laufenden Betrieb lange vieles andere untergeordnet hat. Der sich ganz und gar mit seiner Arbeit identifizierte: «Es gab schon eine Zeit, da habe ich gedacht: „Der Hof bin ich!“» 

Von diesem Gedanken konnte Till sich aber wieder lösen. In dem Moment nämlich, als er überlegte, wie es später einmal weitergehen solle. 

«Ich bin ja doch nicht der Hof»

An einer Nachfolge zeigten die drei Kinder der Tills zunächst lange kein Interesse. Und genau in dieser Phase habe er gemerkt, «dass ich ja doch nicht der Hof bin. Ich bin ja der Till. Ich habe ja auch noch andere Interessen. Künstlerische zum Beispiel.» Till entwarf vor seinem inneren Auge ein Szenario, in dem der Hof kleiner wurde. In dem er selbst Tiere abgab und Zeit für etwas anderes gewann – das Malen!

Diesen Prozess fand er ungemein nützlich. Erst recht in jenem Moment, in dem sich die Nachfolgesituation noch einmal änderte. «Vor etwa fünf Jahren war das», so Till. «Da hat unser jüngster Sohn Johannes gesagt, er würde doch gern übernehmen.»     

Eine Hofübernahme gelingt deutlich besser, wenn der Abgebende sich nicht mehr ganz so stark mit seinem Hof identifiziert. Zumal, wenn beide Parteien sich charakterlich so deutlich unterscheiden wie das bei Vater und Sohn Till ist. 

Bauchmensch, Verstandesmensch

«Ich bin ein Bauchmensch», beschreibt Heinrich sich selbst. «Ich kann nicht schon beim Frühstück die Aufgaben verteilen. Ich dreh erst draußen eine Runde um den Hof. Dabei nehme ich auf, was zu tun ist – und arbeite das dann ab.»

Sein Sohn hingegen sei ein Verstandesmensch. «Der macht einen Plan. Ich bin dann manchmal nicht so sicher, ob dieser Plan auch funktioniert. Aber Johannes entgegnet dann: „Egal, Papa. Dann mache ich auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse halt einen neuen Plan.“».

Johannes ist gelernter Koch und Hotelbetriebswirt, er hat die Produktpalette des elterlichen Hofes längst erweitert. Mit der «Tollen Rolle», einem Fladenbrot, das zum Beispiel mit Tills Bergkäse gefüllt – und dann gegrillt wird. 

Der Sohn bietet das mit seinem Foodtruck erfolgreich auf Festivals und Märkten an. In der Hofküche arbeitet er an neuen Produkten, etwa unterschiedlichen Sorten Ziegenfrischkäse. Dass der Hof reduziert, dass er zukünftig weniger Tiere hat, steht also erst einmal nicht mehr zur Diskussion.

 «Ich denke eher, es werden noch ein paar Ziegen mehr», sagt Heinrich Till.

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