Kurt Vollmer, Wambach

«Wer übernimmt heute noch Verantwortung?»

Kurt Vollmer hat lange nach einer außerfamiliären Nachfolgerregelung gesucht. Jetzt endlich, nach Jahren, kommt sie in den Blick.

Mathias Heybrock

«Jetzt braucht sich niemand mehr zu melden», berichtet Kurt Vollmer im Juli 2021 am Telefon. Er ist in guten Gesprächen über eine Nachfolgeregelung für seinen Hof und möchte auch an dieser Stelle mitgeteilt wissen, dass seine Suche nun abgeschlossen ist. Die Geschichte dieser Suche teilt etwas darüber mit, wie der Prozess einer Hofübergabe ablaufen kann – weswegen sie hier weiter erzählt wird.

Wambach ist ein idyllisches Bergdorf im Wiesental. Die Straße geht von Wies herauf, passiert nach einiger Zeit erste, vorgelagerte Bauernhäuser, führt dann in die Dorfmitte mit dem schönen Brunnen nebst Linde – und endet. Um den Ortskern herum sind weitere Höfe gruppiert, zu denen Stichstraßen führen. 

Einer dieser Höfe gehört dem 71-jährigen Kurt Vollmer. Seine Großeltern haben dort bereits gewirtschaftet, die Eltern ebenso. Vollmer selbst hat nicht geheiratet und hat keine Kinder. Von seinen drei Schwestern sind zwei bereits verstorben. Die Älteste zog früh in die Schweiz. Dort führt sie zusammen mit ihrem Mann einen Bauernhof in der Nähe von Winterthur.

Der Hof in Wambach gehört Vollmer und Vollmer allein. Über eine Nachfolgeregelung macht er sich schon lange Gedanken. Systematisch jedoch begann er dieses Thema 2015 anzugehen. Damals besuchte er eine Reihe von Seminaren, die das Bildungshaus Kloster St. Ulrich zur außerfamiliären Hofübergabe anbietet. «Das hat mir schon richtungsweisende Einsichten gebracht, worauf man achten muss.» Auch die Ahnung, «dass es schwierig wird», hat Vollmer aus diesen Seminaren mitgenommen. 

«Eine junge Familie sollte auf diesem Betrieb ihr Auskommen finden»

Leider hat diese Ahnung sich bewahrheitet. Und das, obwohl der Landwirt durchaus ein Pfund in die  Waagschale zu werfen weiß: Sein Eindachhof, ein mittelgroßes kompaktes Gebäude, ist gut in Schuss. Zusätzlich zum alten Stall, der allein nicht mehr ausreichte, hat er hinter dem Haus noch einen zweiten, größeren, moderneren gebaut. «Eine junge Familie sollte auf diesem Betrieb ihr Auskommen finden», ist Vollmer überzeugt.  

Der Betrieb konzentriert sich im wesentlichen auf Milcherzeugung. «Ich bewirtschafte etwas unter 20 Hektar Fläche» so Vollmer, je hälftig Eigentum und in Pacht. Das sind die Weide- und Heuflächen für die 10 Kühe und 12 Kälber, die der Landwirt durchschnittlich hält. Er produziert in Bioqualität. 

«Meine Milch ist seit 20 Jahren bio»

«Für die ökologische Landwirtschaft habe ich mich früh interessiert», sagt Vollmer. Früher als viele andere besuchte er Seminare und Fortbildungen zu diesem Thema: «Meine Milch ist bereits seit 20 Jahren bio». Vollmer durfte sie nur lange nicht so nennen, weil der alte Tanklaster der Molkerei die entsprechende Zertifizierung nicht erfüllte. Seit zehn Jahren kommt ein neuer Tanklaster – und seitdem produziert der Wambacher auch offiziell bio.  Mit dem Preis pro Liter ist er zufrieden, «das kann ich klar so sagen!»   

Vollmer ist gelernter Handwerker und hat in diesem Beruf gearbeitet so lange seine Eltern den Hof noch führten. In dessen Instandhaltung und Modernisierung hat er viel Arbeit, viel Eigenleistung investiert. Er installierte etwa den Warmwasserkreislauf. Der funktioniert über eine Therme, die anstelle von Öl oder Gas mit Holz befeuert wird, das aus dem  betriebseigenen Wald kommt. Diese Therme beheizt die beiden Wohnungen in Erd- und Obergeschoss, die etwa gleich viel Fläche haben.

«So bescheiden wie ich werden die wohl nicht mehr leben»

Vollmer fragt sich trotzdem, ob sein Hof in der bestehenden Form den Ansprüchen etwaiger Nachfolger genügt: «So bescheiden wie ich werden die wohl nicht mehr leben». Er meint damit nicht nur die schnörkellose Einrichtung seiner Küche. Sondern den ganzen Lebensstil: «Heute dreht sich ja alles um Spiel, Sport, Spaß.» 

Solcher Dreiklang lässt sich mit Vollmers langen Arbeitszeiten tatsächlich nicht so einfach verbinden. Um 20.30 Uhr bringt er seine Milch herunter nach Wies, wo der Wagen der Molkerei sie dann abholt. Vollmer war lange Jahre in seiner Freizeit im Schwarzwald-Verein engagiert. «Aber als die ihre Sitzungen auf halb Acht vorverlegten, war das für mich eigentlich vorbei.» 

Seinem Besuch der Seminare zur außerfamiliären Hofübergabe hat Vollmer schließlich Schritte folgen lassen. Er wandte sich an Martina Schaff, die Tochter einer Landwirtsfamilie auf der Baar, die selber einen Hof-Nachfolger außerhalb der Familie suchte. Inspiriert von der Suche ihrer Eltern, gründete Martina Schaff daraufhin eine Hofbörse im Internet. Online erscheinen dort Angebote von Landwirten, die Nachfolger, Käufer oder vielleicht auch Mistreiter suchen. Sowie Gesuche von Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten möchten, aber keine familieneigene Hofstelle haben. 

Vollmer allerdings hat kein Internet. Er ärgert sich auch manchmal über die Auswüchse, die die digitale Ökonomie mit sich bringt

Vollmer allerdings hat kein Internet. Er ärgert sich auch manchmal über die Auswüchse, die die digitale Ökonomie mit sich bringt. «Alles, was man bestellt, kommt in einem einzelnen Paket und wird von einem anderen Versender gebracht. UPS, Hermes und wie die alle heißen – die fahren dann alle hier hoch.» Vollmer findet das unökologisch: «Die Post kommt doch sowieso!» Wenn er ein Ersatzteil für eine Maschine braucht, bestellt er es nur bei Händlern, die ihm zusagen, mit der Post zu liefern.  

Martina Schaff, die Betreiberin der Online-Börse für außerfamiliäre Hofübergabe, kontaktierte Vollmer ebenfalls per Post. Er bat sie, ihm alle in Frage kommenden Gesuche zukommen zu lassen – und bekam daraufhin etwa 60 Anfragen geschickt. 

Häufig wurde freilich gleich bei der ersten Kontaktaufnahme am Telefon klar, dass die Vorstellungen nicht zusammen passten. «Viele suchten größere Höfe mit mehreren hundert Hektar Fläche. Das sind aber Größenordnungen, die der Schwarzwald nicht bieten kann.»

Unter denen, die Vollmer zur einem Termin auf seinem Hof einlud, waren wiederum viele, die das Betriebskonzept umstellen wollten. «Einer hatte vor, Schweine zu züchten», erinnert sich Vollmer. «Das Fleisch wollte er dann direkt vermarkten.» Aber einerseits war Vollmer nicht überzeugt, ob die Gegend für Schweinezucht geeignet sei. Und auch beim Direktmarketing blieben für ihn Fragen offen. «Dann muss man auf die Märkte in Schopfheim oder Weil, ist stundenlang fort. Wer macht dann die Arbeit auf dem Hof?»

«Mit denen hätte ich mir das gut vorstellen können»

Andere Konzepte hätten einen noch größeren Umbau bedeutet. Ein Interessent wollte den Hof zukünftig als pädagogische Einrichtung für Behinderte führen. «Der hatte vor, den Hof vollkommen umzugestalten und mir dabei auch einen neuen Wohnteil einzurichten.» Da dachte sich Vollmer: «Got’s no? Das hätte bedeutet, zunächst einmal auf einer gigantischen Baustelle zu leben. Das will ich in meinem Alter nicht mehr.» 

Doch auch ein junges Paar war unter den Interessenten, die Vollmer auf seinem Hof besuchten. «Die kamen aus dem  Bayrischen, mit ihrem kleines Kind», berichtet er: «Mit denen hätte ich mir das gut vorstellen können.» Umgekehrt war es ganz genauso. Das Paar hätte die Milchwirtschaft übernommen, Vollmer monatlich eine Art Rente gezahlt, sich auch um ihn gekümmert, wenn er mal bei einem Handgriff Hilfe braucht.  

Nur hatten die jungen Leuten ihren Familien zuhause gar nichts von ihren Plänen erzählt. «Und als sie denen dann erklärten, sie würden in den Schwarzwald ziehen, gab es wohl Widerstand», vermutet Vollmer. Jedenfalls sagten die beiden telefonisch schließlich doch ab.

Vollmers Bedauern darüber ist tief. Er braucht eine Nachfolgeregelung. Der Landwirt sieht zwar deutlich jünger aus als die 69 Jahre, die er zählt. Er sagt aber über sich, dass er jetzt manchmal die Gebrechen spürt, dass sein Körper nicht mehr wie früher mitmacht. Was, wenn er krank wird? Wenn, er den Betrieb allein gar nicht mehr aufrecht erhalten kann? 

«Bei manchen, die sich hier vorstellten, hatte ich den Eindruck, die können fünf Kälbchen und drei Kaninchen versorgen – aber mehr nicht»

«Wer will heute noch Verantwortung übernehmen», fragt Vollmer sich. Einerseits für den Betrieb: «Bei manchen, die sich hier vorstellten, hatte ich den Eindruck, die können fünf Kälbchen und drei Kaninchen versorgen – aber mehr nicht.» 

Andererseits aber eben auch für Vollmer selbst. Er möchte seinen Lebensabend auf dem Hof verbringen, den seine Familie über Generationen aufgebaut hat: «Doch wer will heute noch mit Älteren zusammen sein?» 

Ohne Kompromisse geht es nicht, hat er im Laufe der Suche erkannt. Und auch, dass das schwierig ist, solche Kompromisse einzugehen: «Für die anderen, aber eben auch für mich.» Freilich könnte damit schon ein Schritt getan sein, der die Lösung näher bringt. Vollmers Suche geht weiter. 

In der Bauernzeitung hat er von der Dienstleistungsgesellschaft Landsiedlung gelesen, die eine Hofbörse für landwirtschaftliche Betriebe in Baden Württemberg betreibt. Vielleicht findet sich auf diesem Weg jemand, der seinen Hof – und Verantwortung übernimmt. 

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