Goldenhof, Dachsberg

Wir haben uns als Familie auf dieses Abenteuer eingelassen!

Der Goldenhof in Dachsberg wird von einem gemeinnützigen Verein getragen. Zwei Familien mit dem Altersunterschied einer Generation führen die Landwirtschaft.

Mathias Heybrock

«Es ist nicht ganz klar, wie der Goldenhof zu seinem Namen kam», sagt Thomas Wälde, pensionierter Berufsschullehrer aus Dachsberg. «Die Bauern sagten früher, es wäre wegen der fetten Flächen.»

«Hier stand mal eine Burg», ergänzt der 37-jährige Landwirt Fabian Dreher. «Vielleicht gedieh der Hof dank ihr damals prächtig.»

Von einer Burg stehen heute jedoch nicht einmal mehr Reste auf dem Bildsteinfelsen – einem Hochplateau im Dachsberger Ortsteil Urberg, das zum Albtal hin schroff abfällt und dabei großartige Panorama freigibt.

«Und wegen der fetten Flächen…», meint Dreher leise lächelnd – «da machen wir leider etwas andere Erfahrungen.»

Er ist jetzt seit vier Jahren auf dem Hof. Zunächst nur mit einigen Stellenprozenten, die aber perspektivisch erweitert werden sollen: Dreher wurde geholt, um den 63-jährigen Bauern Uli Mohs zu unterstützen, der den Goldenhof seit 22 Jahren landwirtschaftlich führt.

Wie Dreher wirtschaftet auch Mohs im Angestelltenverhältnis auf dem Goldenhof. Der nämlich befindet sich im Besitz eines gemeinnützigen Vereins, dessen Mitglieder ihn gemeinsam tragen.

Ein Hof als Verein

Ein Hof als e. V.: Dieses Modell gibt es inzwischen häufiger in der Landwirtschaft. Zum Beispiel beim «Ackersyndikat», dessen Idee sich ungefähr so beschreiben lässt: Höfe werden gemeinschaftlich getragen. Der Verein «beauftragt» eine Familie oder eine landwirtschaftliche Gemeinschaft mit der Arbeit.

In diesem Modell ist der Hof dem Markt sozusagen entzogen. Es gibt keinen Eigner, der das Haus oder zumindest die Flächen ohne Weiteres verkaufen kann. Sei es, weil er keinen ihm passend erscheinenden Nachfolger findet, sei es aus anderen Gründen. Das kann helfen, den Hof zukunftssicher zu machen und ihn in seinem ursprünglichen Sinn zu erhalten.

Der Goldenhof ist nicht Teil des Ackersyndikats – aber schon sehr lange als gemeinnütziger Verein organisiert. Zweck dieser Konstruktion ist es, den Hof als pädagogischen Lernort für die Waldorfschule Dachsberg zu nutzen.

«Einen Schulgarten haben viele Schulen. Unsere hat eine Landwirtschaft»

«Einen Schulgarten haben viele Schulen. Unsere hat eine Landwirtschaft», meint Wälde. Er war jahrelang ehrenamtlicher Vorstand der Schule und ist mit der Geschichte des Goldenhofs bestens vertraut.

Wälde gibt eine kleine Führung über das weitläufige Gelände. Mehrere Schulgebäude liegen um den Hof herum verstreut, die Erstklässler haben eine gemütliches kleines Häuschen für sich.

«Die Kinder lernen hier, dass Lebensmittel nicht im Discounter wachsen», umschreibt Fabian Dreher das Konzept. In der «Landbau-Epoche» der jeweiligen 3. Klasse etwa wird zusammen Roggen angebaut. Aussaat, Ernte, Dreschen, Weiterverarbeitung: Die Schüler sind in jeden Arbeitsschritt eingebunden und erleben, wie aus Korn schließlich Brot wird. Auch Gemüse und Obst baut der Hof an, in kleinen Mengen, zur Versorgung der Schüler.

Tiere gibt es natürlich auch. Gänse und Hühner, Pferde und Kühe und manchmal auch Schweine. Die Schüler bringen das Heu, führen die Tiere zur Weide, misten den Stall aus. Und lernen dabei: Verantwortung. Selbsteinschätzung. Was kann ich bewirken? Wieviel Kraft habe ich?

Früher waren die Eigentümer des Goldenhofs im Bergbau tätig

Früher waren die Eigentümer des Goldenhofs im Bergbau tätig – Urberg war zunächst eine Bergarbeitersiedlung. 1969 kaufte dann der Schweizer Franz-Karl Rödelberger das Gebäude und die ihn umgebenden Flächen. «Eine charismatische Person», sagt Wälde. Rödelberger veranstaltete monatliche Hof-Führungen, Eintritt 5 Mark, die überregional legendär wurden.

Der gebürtiger Berner kam mit seiner Frau Marga, die er am Goetheanum in Dornach kennengelernt hatte. Von dort brachte er auch die landwirtschaftlichen Ideen der Anthroposophie an den Goldenhof. Sein Denken hatte früh stark ökologische Züge – aber auch leicht apokalyptische.

Rödelberger wollte wieder weg von einer Landwirtschaft mit Maschinen. Er setzte auf das Arbeiten von Hand. «Es war die Zeit der Ölkrise», sagt Wälde. «Er war überzeugt, die industrialisierte Gesellschaft bräche bald zusammen.» Deswegen wollte er die alten manuellen Techniken und Kenntnisse erhalten.

Für den erwarteten Zusammenbruch des Systems hatte der Visionär sogar ein Datum: 1998 sollte es geschehen. Erlebt hat Rödelberger den Tag nicht mehr. Er starb ein Jahr früher, mit 70 Jahren. Ein Unfall beim Kompostausfahren mit dem Pferd, das ihn regelrecht zu Tode schleifte, wie Wälde erzählt.

Von einer Walddorf-Pädagogik auf dem Hof hatte schon dessen erste Frau Marga geträumt. Die zweite, Anke, eine Lehrerin aus Hamburg, begann diesen Traum umzusetzen – zunächst mit einem Kindergarten.

Das Vereinskonstrukt stammt bereits vom alten Patron

Franz-Karl Rödelberger mochte zuweilen ein schwieriger Menschen gewesen sein. «Aber das, was er aufgebaut hatte, wollten wir unbedingt erhalten», sagt Wälde. Das Vereinskonstrukt hatte bereits der alte Patron dem Hof gegeben. Nun, nach dessem Tod, machte es erst recht Sinn – und half, den Hof zu erhalten.

Gebäudeerhalt, Verwaltung, Finanzen: Diese Aufgaben erledigten fortan Vereinsmitglieder ehrenamtlich. Für die Landwirtschaft stellte man Uli Mohs an, der bei Rödelberger in die Lehre gegangen war. Er lebt mit seiner Familie in einer Wohnung des Hofes – der auch noch einen Lehrer der Waldorfschule beherbergt sowie einige Zimmer für Praktikanten hat.

Uli Mohs liebt die Landwirtschaft. Irgendwann einfach die Füße hochzulegen und das Rentendasein zu genießen – das ist überhaupt keine Traumvorstellung für ihn. Er möchte rausgehen, arbeiten, schon allein, um sich fit zu halten.

Er möchte, nach 22 Jahren, aber doch auch einen Teil der Aufgaben abgeben, sich nicht mehr um alles allein kümmern müssen. Deswegen schaute sich der Verein nach jemanden um, der zusätzlich einsteigen könnte – und wurde bei Fabian Dreher fündig.

Dreher kennt den Goldenhof seit Kindheitstagen

Dreher kennt die Waldorfschule am Goldenhof schon seit Kindheitstagen, er wohnte in Menzenschwand. «Meine jüngeren Geschwister gingen hierhin. Beim Abholen war ich dann häufig dabei und hab mich hier oben getummelt.»

Damals wusste er noch nicht, dass er Landwirtschaft studieren würde, an der Hochschule von Nürtingen. Anschließend zog es ihn zunächst in die Stadt, mit Frau und Kindern nach Fürth.

Im nahen Nürnberg arbeitete er für ein Unternehmen aus dem Bereich der Biozertifizierung. Interessant – aber zu hundert Prozent Büroarbeit, und damit eigentlich das, was Dreher nicht unbedingt wollte. «Ich überlegte tatsächlich gerade, ob ich kündigen sollte, als das Angebot aus Dachsberg kam.»

Gemeinsam mit der Familie entschied Dreher, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Sie haben ein eigenes kleines Haus auf dem Gelände des Goldenhofs. Die Kinder können unbeschwert ins Freie, es gibt keinerlei Durchgangsverkehr. Und die Schule liegt natürlich auch gleich vor der Tür. Ideale Bedingungen.

«Wenn Sie durch unsere Gegend fahren, sehen Sie, dass viele ehemalige Bauernhöfe zu reinen Wohnhäusern umgebaut wurden»

Beziehungsweise: Halbideal. Denn wirtschaftlich ist der Goldenhof nicht unbedingt auf Rosen gebettet; wie so viele Landwirtschaften im Schwarzwald. Nicht umsonst ist das Höfesterben dort seit Jahrzehnten massiv. «Wenn Sie durch unsere Gegend fahren, sehen Sie, dass viele ehemalige Bauernhöfe zu reinen Wohnhäusern umgebaut wurden», sagt Wälde – der im Dachsberger Ortsteil Happingen ebenfalls in einem umgebauten Bauernhaus lebt.

Wenn es den Verein nicht gäbe, gäbe es vielleicht auch den Goldenhof nicht mehr, zumindest nicht in dieser Form. Die Hochebene, auf der er liegt, ist eine absolute Gunstlage – man könnte sich da oben so manches Projekt eines solventen Investoren vorstellen. «Das pädagogische Konzept wollen wir aber unbedingt erhalten» sagt Dreher. Gleichzeitig jedoch gilt es, die finanzielle Situation zu verbessern.

„Der Goldenhof erwirtschaftet in dem Sinne ja nichts“, erklärt Wälde. Er ist für die Schule da, die ihr Budget aber größtenteils selbst braucht, für Lehrkräfte, Materialen und Infrastruktur.

Die staatlichen Zuschüsse sind fix, die Zuschüsse durch die Eltern nicht zu steigern. «In einer wohlhabenden Stadt wie Freiburg könnten wir für unser pädagogisches Konzept deutlich mehr verlangen», sagt Wälde – und damit querfinanzieren.

Alter Hof, neue Ideen

Dreher wurde geholt, um neue Ideen an den Hof zu bringen. Er ist jung und hat viel Energie. Er steht voll hinter dem pädagogisch-ökologischen Konzept. Er ist gleichzeitig gänzlich unideologisch – und so ausgebildet, das er auch  betriebswirtschaftliche Seite des Landwirtschaft im Blick behält.

Bis jetzt habe man sich hier oben eher so durchgewurschtelt, findet Dreher. Zwar will er nicht gleich alles auf den Kopf stellen. «Aber ein bisschen freilich muss man schon schauen, was Sinn macht und was nicht.»

Als Beispiel nennt Dreher die Versorgung der Kühe: Jedes Tier bekommt sein Heu einzeln von Hand, aus der Scheune, getragen im Sack. In der Schulzeit machen das die Kinder, die dabei sehr viel lernen.

Am Wochenende aber sind die Kinder nicht da, und auch in den Ferien nicht regelmäßig. «In dieser Zeit könnte ich auch mit dem Schlepper eine Fuhre Heu aufnehmen und verteilen. Dann spare ich satte zwei Stunden Zeit, die ich anders nutzen könnte.»

Uli Mohs allerdings hat es immer von Hand gemacht und würde es auch zukünftig gern so machen. «Ist ja auch klar», äußert Dreher Verständnis. «So wurde schon unter Rödelberger gearbeitet, Uli hat das als sinnvoll erlebt. Das war immer das System des Hofes.» Dreher erlebt ihn bei gemeinsamen Gesprächen auch als sehr offen und kooperativ. «Ich merke aber gleichzeitig, wie ihm der Gedanke an Veränderung schwerfällt.» 

Generationenkonflikte gibt es überall, nicht nur in der Landwirtschaft. Die Vorstellungen des jungen Landwirtes unterscheiden sich eben häufig von denen des älteren. Thomas Wälde versteht sich in diesem «Konflikt» als Moderator. In regelmäßigen Abständen trifft man sich zu dritt, tauscht sich aus, redet über die Zukunft. 

Dreher treibt Dinge voran, die es bislang auf dem Hof nicht gab.

Im Moment lautet die Lösung, dass sich Dreher noch nicht um die Neuausrichtung des Goldenhofs kümmert. Er hat einige der bisherigen Aufgaben übernommen, auch die administrativen, das Schreiben der Förderanträge etwa. «Das mach ich auch noch für ein paar ältere Landwirte aus der Gegend, die das selbst gar nicht mehr richtig schaffen, aus diesen Bürokratiewust schlau zu werden.»

Und dann treibt er Dinge voran, die es bislang auf dem Hof nicht gab – also auch nicht in Ulis Bereich fallen.

Dreher hat zum Beispiel die Imkerei auf dem Goldenhof gebracht. Neben der «klassischen» Imkerei auch die Zeidlerei – das ist eine uralte, seit dem Mittelalter bekannte Form der Imkerei, bei der man den Honig von wilden oder halbwilden Völkern sammelt. Die Bienen werden nicht in Körben oder Behausungen gehalten, sondern in vom Zeidler geschaffenen Hohlräumen wie einem hohlen Baumstamm.

Das Bienenhaus

Das Projekt, das vom Biospährengebiet gefördert wird, dient der Stärkung der Biodiversiät. Es ist zudem ein weiterer Lernort für die Schüler – und für alle, die den Goldenhof passieren.

Der Hof liegt direkt am 2017 neu eingerichteten Wanderweg Albsteig Schwarzwald, der von Albbruck zur Passhöhe am Feldberg führt. Etwa einen Kilometer lang geht die Passage entlang der Gemarkung des Hofes. Auf diesem Wegstück stehen jetzt sechs vier Informationstafeln, mit Texten über die Zeidlerei und den Goldenhof.

Die letzte dieser Tafeln steht in der Nähe des neu errichteten «Bienenhauses» auf dem Hofgelände. In diesem Raum können die Wanderer noch etwas tiefer ins Thema eintauchen – und sich anschließend mit Kaffee und Kuchen stärken, wie Thomas Wälde die Zukunftspläne beschreibt. Den Aktiven im Trägerverein schwebt eine saisonale Straußenwirtschaft vor.

Pädagogik bleibt der Kern des Konzepts

Wie viele landwirtschaftliche Betriebe denkt also auch der Goldenhof über touristische und gastronomische Konzepte als weitere finanzielle Standbeine nach. Auch Ferienvermietung wäre möglich. Das schmucke, leicht erhöht stehende Häuschen, das Rödelberger auf dem Gelände für seine zweite Frau errichten ließ, wäre dafür geradezu ideal.

Klar bleibt aber, dass das pädagogische Konzept immer im Zentrum stehen soll. Die meisten der Schülerinnen und Schüler machen den Abschluss Mittlere Reife nach 12 Schuljahren, sagt Wälde: «Wobei ich aus eigener Berufserfahrung als Lehrer sagen kann: Unsere Mittlere Reife ist um einiges reifer als diejenige einer normalen Schule.»

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