«Dieser Hof! Und kein anderer!»
Bei der Suche nach einem Hof hatten die Familie Albrecht sowie Oliver Albrecht sehr klare Vorstellungen. Ausdauer führte zum Ziel. Und ein engagierter Bürgermeister.
Von Mathias Heybrock
«Eigentlich war der Vertrag schon unterschrieben», erinnert sich Oliver Albrecht. Für einen Hof im Donautal, alles geregelt.
Doch Holger Albrecht, der die Verhandlungen geführt hatte, wurde letzte Zweifel nicht los. Es war ein guter Hof, absolut. Aber stand er auch gut? War es der richtige Ort, die richtige Landschaft für den Rest des Lebens?
Sechs lange Jahre hatte die Suche nach einem Hof inzwischen gedauert. Holger Albrecht entschied sich trotzdem gegen die Unterschrift.
«Da muss wohl etwas in der Luft gelegen haben», vermutet sein Bruder Oliver. «Denn zwei Wochen später kam die Nachricht, dass das mit dem Windberghof klappt.»
Der Windberghof liegt oberen Windbergtal – einen zwanzigminütigen Fußmarsch auf Forstwegen von St. Blasien entfernt. Ursprünglich war er einmal im Besitz des Klosters St. Blasien, ehe ihn 1806 der Staat übernahm. Heute leben fünf Menschen dort: Martina und Holger Albrecht mit ihren Kindern Elias und Johannes, die den Hof hauptberuflich bewirtschaften. Und Oliver Albrecht, der sein Geld als Musiklehrer verdient und nach dieser Arbeit viel auf dem Hof mithilft.
«Mit Landwirtschaft hatten wir lange Zeit nichts zu tun»
Landwirtschaft kennen die beiden Brüder durch ihre Großeltern. «Die hatten einen kleinen Hof auf der Baar.» Die eigenen Eltern hatten dann aber mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun. «Und wir», sagt Oliver, «lange Zeit eigentlich auch nicht.»
Er selbst hatte die Musik im Sinn und nahm nach dem Abitur ein Musik-Studium auf. Holger lernte zunächst Industriekaufmann, wurde aber nicht glücklich mit dieser Wahl. Er machte dann eine Ausbildung in der Landwirtschaft und merkte – das ist es! Seine Frau Martina, eine gelernte Schreinerin, hat Holger bei dieser Ausbildung kennengelernt, die er anschließend mit einem Studium der Landwirtschaft an der Universität Hohenheim ergänzte.
Die Suche nach einem eigenen Hof führte ihn und seine Frau zunächst nach Langenschiltach bei St. Georgen. Bei einem Bauern dort konnten sie das Leibgeding bewohnen und vier Hektar Land bewirtschaften. Oliver hatte zu diesem Zeitpunkt gerade sein Musikstudium abgeschlossen und suchte eine Bleibe. Im Leibgeding war noch Platz.
Im Leibgeding wird es eng
Man verstand sich gut, kam auch mit dem Bauern nebenan zurecht. Vier Hektar Land jedoch waren zu wenig. Jedenfalls für die hauptberufliche Landwirtschaft, die Martina und Holger sich vorstellten. Als dann ihre Kinder geboren wurden, wurde es im Leibgeding zudem ziemlich eng.
Die Suche nach einem eigenen Hof mit mehr Fläche hat anschließend bis nach Schweden geführt. Auch in Brandenburg schaute Holger sich einiges an, Mitte der 90er Jahre.
«Das waren oft sehr schöne Höfe», erzählt Oliver. Doch existierten damals noch die alten Strukturen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) aus DDR-Zeiten. Wenn man im Schwarzwald eher zu wenig Fläche angeboten bekam, war es in Brandenburg zu viel: «Da gehörten dann 1000 Hektar dazu – nicht die 50, die wir uns vorstellten.»
Auch wurde man auf den ostdeutschen Dörfern damals noch etwas schräg angeschaut, wenn man aus dem Westen kam. Holger meinte, die Übernahme-Ängste, aber auch Ressentiments zuweilen förmlich mit den Händen greifen zu können.
Die Recherche-Reisen erfüllten dennoch ihren Zweck. Sie machten den Hofsuchenden nämlich klar, dass es ohnehin eigentlich der Schwarzwald war, wo sie leben und arbeiten wollten. Das war «ihre» Landschaft, dort fühlten sie sich wohl.
«Unser Anforderungskatalog war schon speziell»
Von nun an konzentrierte sich die Suche auf diese Region. Die Vorstellungen waren dabei sehr klar: Es sollte ein historischer Hof sein. «Das war so ein bisschen mein Wunsch», erklärt Oliver, der sich für die Restaurierung alter Gebäude interessiert.
Der Hof sollte sich zudem in Alleinlage befinden. Und: Die Albrechts wollten ihn alleine bewirtschaften – also ohne dass die vorherigen Besitzer noch anwesend sind.
«Dieser Anforderungskatalog war schon speziell», gibt Oliver zu. Und die Wunschliste war ja noch nicht zu Ende. Die Albrechts wollten den Hof biologisch führen. «Offenbar ein unanständiges Wort», bemerkt der Musiker Albrecht süffisant – jedenfalls hätten viele potenzielle Verkäufer darauf allergisch reagiert. Als Holger bei einer Hofbesichtigung einmal bemerkte, aus dem alten Anbindestall würden sie aber natürlich einen Laufstall machen, war das Gespräch ebenfalls schnell zu Ende.
Hatten die Hofsuchenden zunächst Freunde und Bekannte nach Tipps und Hinweisen gefragt, gingen sie die Sache in einem nächsten Schritt systematischer an. Sie schrieben gezielt alle Gemeinden im Schwarzwald an: Mit einer Art Hof-Stellengesuch.
Das Telefon klingelt
«Wir erhielten daraufhin fünf oder sechs Angebote», erzählt Oliver, «aber etwas richtig Interessantes war nicht dabei». Ein Jahr nach ihrem Gemeinde-Anschreiben, die Albrechts hatten schon nicht mehr mit einer weiteren Reaktion gerechnet, klingelte dann plötzlich das Telefon.
Der Herr am anderen Ende der Leitung stellte sich als Mitarbeiter der Gemeinde-Verwaltung St. Blasien vor. Erst später stellten Albrechts fest, dass es der damalige Bürgermeister von St. Blasien höchstpersönlich war, Johann Meier.
Meier wusste von einem Hof, auf den das Gesuch der Albrechts passen könnte. Eben der Windberghof, abgeschieden gelegen, aber gleichzeitig doch gut an St. Blasien angebunden. Oliver Albrecht erinnert sich noch, wie der Besichtigungstermin ablief: «Wir wussten sofort: Dieser Hof soll es sein!»
Das Problem freilich war, dass er sich nicht im Besitz der Gemeinde St. Blasien befand. Er gehörte dem Liegenschaftsamt Konstanz, dessen Interesse eigentlich war, einen möglichst hohen Verkaufswert zu erlösen. «Ein solventer Investor, der den Hof abreißt und sich stattdessen eine Villa baut, wäre denen auch Recht gewesen», glaubt Oliver Albrecht.
Dem Engagement des Bürgermeisters Meier war es zu verdanken, dass bei der Ausschreibung des Hofes die Rechtslage klar blieb: Wechselt nämlich ein Hof den Besitzer hat eine zukünftige landwirtschaftliche Nutzung Vorrang vor allen anderen möglichen Nutzungsformen. Auf den Flächen der Stadt St. Blasien, also ohne die Eingemeindungen wie etwa Menzenschwand, gibt es nur noch einen einzigen landwirtschaftlichen Betrieb, den Glashof. «Herrn Meier war sehr daran gelegen, dass mit dem Windberghof wenigstens ein zweiter erhalten blieb», so Oliver Albrecht.
«Wir haben da nicht groß gepokert»
Es kam schließlich zu einer Blindversteigerung, bei der alle Interessierten ein Gebot abgaben – ohne zu wissen, in welcher Höhe die anderen boten. «Wir haben da aber trotzdem nicht groß gepokert», erinnert sich Oliver. «Wir kannten einen Sachverständigen, dem wir vertrauten. Der sagte uns die Summe, die der Hof wert ist. Die haben wir dann geboten.» Und den Zuschlag bekommen. Zwei Wochen, nachdem Holger den Hof im oberen Donautal abgesagt hatte.
Doch wie heißt es so schön: Sei vorsichtig mit dem, was Du Dir wünscht – vielleicht geht es in Erfüllung. Die Albrechts hatten nun den Hof, den sie wollten. Allerdings war er in einem sehr schlechten Zustand. Es war seit Ewigkeiten nichts mehr an ihm gemacht worden, auch die Landwirtschaft war nicht mehr in Betrieb.
Zehn Jahre ohne freie Minute
Hof und Nutzflächen wieder herzurichten, war eine kräftezehrende Arbeit: Zehn lange Jahre, in denen nahezu jede freie Minute investiert werden musste. Fast alles geschah in Eigenleistung. Ein Bauunternehmen beauftragen, wäre nicht gegangen, sagt Oliver Albrecht: «Das wären Hunderttausende von Euro geworden. Die hatten wir nicht und hätten die Summen durch den Hof auch niemals refinanziert bekommen.»
Für die Restaurierung richteten Albrechts zunächst zwei Werkstätten für Schreiner- und Schlosserarbeiten ein. Für eine möglichst authentische Instandsetzung zogen sie alte handwerkliche Lehrbücher zu Rate. Marode Strukturen wurden ausschließlich durch historische Baumaterialien aus anderen Höfen oder Häusern ersetzt. Aus der Zeit sind Albrechts in ihrem historischen Gebäude aber nicht. Es gibt eine Spülmaschine und natürlich auch Internet. Der Laufstall, der in den entkernten Stall des Eindachhofes eingepasst wurde, ist landwirtschaftlich auf dem neuesten Stand.
«Nach einem halben Jahr waren wir integriert»
St. Blasien habe sie von Beginn an gut aufgenommen, findet Oliver Abrecht. «Nach einem halben Jahr waren wir integriert.» Dabei half, dass Menschen von der Baar sich vielleicht einfach in die Schwarzwälder Kultur fügen als solche aus, sagen wir, Brandenburg. «Doch der Hauptgrund war wohl, dass sie sofort gesehen haben, dass wir fleißig sind.»
Rückblickend meint Oliver Albrecht, er sei sich nicht ganz sicher, «ob wir uns für den Hof auch dann entschieden hätten, wenn wir schon gewusst hätten, wieviel Arbeit da auf uns zukommt.» Der Tipp, den er und sein Bruder heutigen Hofsuchenden gibt, lautet deswegen auch: «Übernimm keinen Hof, der nicht funktioniert.»
Der Windberghof freilich steht nun, nach all den Mühen, wohlgefällig in der Landschaft: Ein Haus, das längst die gesamte Gemeinde mit Stolz erfüllt und auch überregional große Anziehungskraft entwickelt, etwa auf die Filmbranche: Bislang fünf Mal diente der Hof als Kulisse für Film- und Fernsehproduktionen, unter anderem wurde eine «Tatort»-Folge dort gedreht.
«Mehr Fläche braucht es nicht mehr zu werden»
Das ist eine schöne Bestätigung, dass man gute Arbeit geleistet hat, bleibt aber natürlich Nebeneffekt. Der Hof produziert in der Hautsache Käse aus Ziegen- und Kuhmilch. Jeden Freitag fährt Martina Albrecht auf den Bauernmarkt von St. Blasien, um ihn dort zu verkaufen.
Inzwischen dienen 57 Hektar den Tieren als Weide und Mähfläche – begonnen haben die Albrechts einmal mit 27. «Mehr Fläche braucht es nicht mehr zu werden», sagt Oliver. Weniger dürfte es für einen Betrieb im Vollerwerb aber auch nicht sein: «Wir sind hier auf gut 1000 Meter Höher, in subalpinen Gefilden.»
Der Ertrag sei grenzwertig: «Was wir mit unseren Flächen generieren, könnten wir im Raum St. Georgen wohl mit der Hälfte erreichen», so Oliver. An den satten Ausläufern zum Bodensee reichte womöglich ein Viertel. «Schwarzwald ist eben nicht gleich Schwarzwald», sagt Oliver: «Unsere Flächen sind so mager, dass wir die Tiere nur einmal am Tag melken.»
Die Kinder von Martina und Holger werden jetzt allmählich erwachsen. Wie sie es später einmal mit dem Hof halten werden, ist noch unklar. Aber das stört niemanden. Die beiden Vollerwerb-Landwirte haben die 50 noch nicht erreicht – also noch einige Berufsjahre vor sich.
«Wir haben den Hof geprägt. Und er uns»
Ihnen und auch Oliver Albrecht ist aber schon klar, dass sie selbst nie mehr von dort oben fort wollten. «Ich verstehe jetzt alle Landwirte, die ihren Hof auch nach dem Ende des Arbeitslebens nicht verlassen», erklärt Oliver. Heute sprechen ja alle davon, wie sehr Leben und Arbeit miteinander verzahnt sind. In der Landwirtschaft habe das schon immer gegolten: «Wir haben den Hof geprägt und die Landschaft, die ihn umgibt. Und beides hat umgekehrt uns geprägt. Ich bin hier verwurzelt und möchte das nicht mehr aufgeben.»
«Wenn es um die Flächen geht, lernt man sich kennen»
Familie Till hat ihren Hof vor über 30 Jahren neu gegründet und aus dem Bauchgefühl heraus aufgebaut. Der Nachfolger macht jetzt einen Plan.
Mathias Heybrock
Wenn man vom Schluchsee aus in Richtung Menzenschwand fährt, passiert man in Äule den Demeter-Hof der Familie Till. Zunächst sieht man rechts den Stall liegen, kurz darauf führt eine Stichstraße zum Hof, der ursprünglich mal ein Waldarbeiter-Anwesen war.
Seit 32 Jahren lebt und arbeitet die Familie Till dort. «17 Hektar Land waren damals dabei», erinnert sich der 64-jährige Heinrich Till. Inzwischen bewirtschaftet er 75 Hektar. «Wenn mir das jemand einmal prophezeit hätte – ich hätte es nicht geglaubt.»
Schließlich war nicht einmal ausgemacht, dass Heinrich Till überhaupt Landwirt wird. Als Gymnasiast am Niederrhein stand er kurz davor, ein Studium zu beginnen, wie die meisten seiner Mitschüler.
Sicher war er sich bei diesem Bildungsweg allerdings nicht. «Ich hatte Schule immer langweilig gefunden, mit Ausnahme von Sport und Kunst», so Till. Das künstlerische Talent hatte auch der Kunstlehrer längst erkennt, der seinem Schüler riet, doch eher in diese Richtung zu gehen. Vielleicht eine Lehre in einer Töpferei?
Was will ich, was macht mich glücklich? Till war auf der Suche – und dabei fielen ihm Kindheitserinnerungen ein. Der Bruder seines Großvaters hatte einen Hof mit ein paar Kühen, Till war als Bub dort oft zu Besuch. Er erinnert sich, wie er heimlich Kuhmilch naschte, direkt vom Euter in den Mund, ein wohliges, heimeliges Gefühl. «Und als ich dann das erste Mal die Melkmaschine anlegen durfte, war ich happy.»
«Ich habe mich auf diesem Hof wohl und aufgehoben gefühlt. Wie andere vielleicht in der Kirche»
Ihm gefielen die geregelten Abläufe. Erst den Futtertrog säubern. Dann neues Futter herein tun. Erst ausmisten, dann neues Stroh in den Stall. Till erlebte das als sinnvolles Tun: «Ich habe mich auf diesem Hof wohl und aufgehoben gefühlt. Wie andere vielleicht in der Kirche.»
Wenn man heute mit dem Landwirt über diese Erfahrungen spricht, merkt man deutlich, wie intensiv diese Eindrücke für ihn waren, wie elementar. Sich selbst beschreibt Till als eine «eher chaotische» Person: «Die Landwirtschaft verleiht mir Struktur. Sie erdet mich. Das kann man so sagen.»
Die Konsequenz: Till brach das Gymnasium kurz vor dem Abitur ab und suchte sich einen Ausbildungsplatz in den Landwirtschaft. Er war allerdings nicht der Einzige. In den frühen 70er Jahren begann die Biobewegung, viele junge Menschen strömten aufs Land, Ausbildungsplätze wurden rar.
«Landwirtschaft verleiht mir Struktur. Sie erdet mich»
In Franken jedoch fand Till schließlich einen Biohof. Allerdings einen mit 400 Hektar Land, 80 Kühen, vielen Angestellten. Das Gegenteil von dem kleinen, im Nebenerwerb geführten Betrieb, der Tills Bild von der Landwirtschaft geprägt hatte: «Mein Traum war das nicht.»
Zwei wichtige Dinge habe er dort aber gelernt. Erstens, durchzuhalten – «das war wichtig, ich hatte ja schon das Abi geschmissen.» Und zweitens, eben nicht nur durchzuhalten, auszusitzen, abzuwarten. Sondern die Ausbildungszeit positiv zu gestalten.
Till war ein engagierter Lehrling, das wurde gesehen und anerkannt. Er gewann sogar einen Wettbewerb, der als Preis ein vierwöchiges Praktikum bei einem Waldbauern am Inn ausgeschrieben hatte. Dort lernte der angehende Landwirt seine spätere Frau Christin kennen, eine Germanistin und gelernte Heilpraktikerin, die ebenfalls in die Landwirtschaft wollte.
«Unser erster Sohn Daniel machte auf einer Alp die ersten Schritte»
Nach der Ausbildung ging Till zunächst ein Jahr lang allein auf eine Alp im Tessin. Den Sommer darauf verbrachte er mit Christin auf einer Alp im Berner Oberland. Das Paar kam in den darauf folgenden Sommern wieder, erlernte das Käsen. «Unser erster Sohn Daniel machte auf dieser Alp die ersten Schritte.»
Mit der Geburt des ersten Kindes war allerdings auch der Zeitpunkt erreicht, wo die Familie nach etwas Festerem zu suchen begann. Die Tills schalteten Anzeigen, erfuhren schließlich durch einen alten Schulfreund Heinrichs, dass ein Hof in Grafenhausen Mitarbeiter suchte. Auf diesem Hof erzählte ihnen dann jemand von dem Waldarbeiter-Haus in Äule.
Es wurde die Keimzelle der eigenen Landwirtschaft. Von der Ausrichtung her ist sie näher an dem kleinen Hof aus Heinrichs Kindheit als an dem Betrieb, auf dem er seine Ausbildung absolvierte. Sie sollte aber dennoch eine Familie ernähren, also nicht als Nebenerwerb konzipiert sein.
«Ich habe nie verstanden, dass eine Molkerei mir sagen kann, welchen Preis sie für die Milch festsetzt»
Von Anfang an wurde diese Landwirtschaft als Biohof geführt: Die Tills sind seit Beginn ihrer Tätigkeit im Demeter-Verband. Auch dass sie selbst vermarkten wollten, stand gleich fest.
«Ich habe nie verstanden, dass eine Molkerei mir sagen kann, welchen Preis sie für die Milch festsetzt», erklärt Till. «Ich finde das fast ein bisschen feudal. Ich möchte den Preis für meine Arbeit selbst festlegen. Keinen Mondpreis selbstverständlich, einen, der sich am Markt orientiert. Aber eben doch: Meinen eigenen Preis.»
Ein eigener Preis – das ging mit eigenem Käse. Wenn Familie Till den Erlös für einen ganzen Laib auf den Rohstoff Milch umrechnet, ist der Liter etwa zwei Euro wert. Eine Molkerei, die 60 Cent zahlt, zahlt bereits viel. Natürlich bedingt die Käseherstellung für den Hof auch mehr Arbeitsschritte als die Produktion von Rohmilch – aber dennoch bleibt mehr Wertschöpfung auf dem Hof.
Diesen Weg konnten die Tills auch deswegen so gut beschreiten, weil sie die Käse-Herstellung bereits kannten. «In unseren Jahren auf der Alp haben wir von einem Käser gelernt, der uns wertvolle Tipps gab», so Heinrich Till. Seine Frau Christin ist in der Küche, macht dort den Käse, betreut auch den Verkauf. Tills Bereich ist «draußen», die Tiere und Felder und Maschinen.
«Wir hatten bald die Möglichkeit, weiter in den Hof zu investieren»
Man habe damals zudem das große Glück gehabt, kurz nach Hofgründung über die Demeter-Assoziation von dem kleinen Markt der Walddorfschule im Freiburger Stadtteil St. Georgen zu erfahren, der einen Stand frei hatte. «Das hat uns sehr geholfen.»
Die Familie ist heute noch dankbar, dass es gleich so gut lief. «Wir hatten bald die Möglichkeit, weiter in den Hof zu investieren.» Nach zehn Jahren konnten sie das Waldarbeiter-Haus kaufen, das sie bis dahin zur Miete bewohnt hatten. Irgendwann war es sogar so, dass die Ware knapp wurde, wenn gleichzeitig im eigenen Hofladen und auf dem Freiburger Markt verkauft wurde.
«Freiburg war und ist für uns sehr wichtig. Aber hier jemanden wieder wegschicken zu müssen – das wollten wir auch nicht», erinnert Heinrich sich. Also vergrößerte die Familie: Mehr Fläche, mehr Tiere und einen neuen Stall – für den sie zum ersten Mal einen Kredit bei einer Bank aufnahmen: «Vorher haben wir nur ausgegeben, was wir verdienten. Maschinen wurden gebraucht gekauft. Einen Traktor dann eben für 3000 Euro anstatt für 80.000.»
Mehr Flächen
Weitere, zum Wachstum notwendige Flächen hätten sich «immer eher so ergeben», so Till. Erst kamen vom sie vom direkten Nachbarn, der seinen Hof aufgab. Dann von einem weiteren Nachbarn, der im Nebenerwerb gewirtschaftet hatte und starb, ohne einen Nachfolger zu haben.
Später schließlich erhielt Familie Till Flächen auch aus der Nachbargemeine Menzenschwand. «Da half uns vielleicht, dass wir von Außen kam – untereinander haben sie sich die Flächen nicht immer gegönnt», erinnert sich Till. Er war aber auch ein guter Abnehmer: Er diskutierte oder feilschte nicht und nahm, was man ihm anbot. Auch die weniger ertragreichen Abschnitte der Hänge, die ganz steilen oder feuchten.
Heute ist es für Landwirte schwieriger an Flächen zu kommen – für Neueinsteiger natürlich erst recht. «Die Kosten werden immer höher, also muss auch die Produktivität wachsen. Das geht nur mit mehr Flächen», erklärt Till die Knappheit des Angebots.
Konflikte und Schwierigkeiten kennt freilich auch er aus eigener Erfahrung. In einem Fall musste er über die Ämter gehen, um sein Recht zu erhalten. «Wenn’s um die Flächen geht, lernt man sich selbst kennen», fasst Till zusammen: «Ich habe schon auch an mir selbst gespürt, was das mit einem macht. Wie gut es sich anfühlt, wenn man auf dem Traktor sitzt und über «seine» Flächen fährt.»
Die tragende und die treibende Kraft
«Ich würde mich als die treibende Kraft unseres Hofes bezeichnen», erklärt Heinrich: «Und Christin als die tragende Kraft. Ohne sie hätte unser Tun keinen „Inhalt“ bekommen, keine Nachhaltigkeit. Sie ist die beständige, ruhige Kraft. In der Familie, im Betrieb und auch nach Außen.»
Die Kindern hätten ebenfalls mitgetragen, fährt der Landwirt fort, der auch die Mitarbeiter erwähnt. „Die haben sich ebenfalls für unsere Ziele begeistert, haben selbst in schwierigen Zeiten durchgehalten. Die sind auch an unserer Entwicklung beteiligt.
«Es gab schon eine Zeit, da habe ich gedacht: „Der Hof bin ich!“»
Dabei ist Till wichtig, dass Entwicklung keineswegs nur etwas Äußeres ist – also etwa ein allmählich wachsender Hof: «Eine nur äußere Entwicklung macht irgendwie leer, kann sogar zu Zerfall führen», sagt er. «Innere, persönliche Entwicklung ist mindestens ebenso wichtig. Vielleicht wichtiger.» Dass sie gemeinsam gelang, erfüllt ihn mit Dankbarkeit.
Sich selbst beschreibt Till als einen Workaholic, der dem laufenden Betrieb lange vieles andere untergeordnet hat. Der sich ganz und gar mit seiner Arbeit identifizierte: «Es gab schon eine Zeit, da habe ich gedacht: „Der Hof bin ich!“»
Von diesem Gedanken konnte Till sich aber wieder lösen. In dem Moment nämlich, als er überlegte, wie es später einmal weitergehen solle.
«Ich bin ja doch nicht der Hof»
An einer Nachfolge zeigten die drei Kinder der Tills zunächst lange kein Interesse. Und genau in dieser Phase habe er gemerkt, «dass ich ja doch nicht der Hof bin. Ich bin ja der Till. Ich habe ja auch noch andere Interessen. Künstlerische zum Beispiel.» Till entwarf vor seinem inneren Auge ein Szenario, in dem der Hof kleiner wurde. In dem er selbst Tiere abgab und Zeit für etwas anderes gewann – das Malen!
Diesen Prozess fand er ungemein nützlich. Erst recht in jenem Moment, in dem sich die Nachfolgesituation noch einmal änderte. «Vor etwa fünf Jahren war das», so Till. «Da hat unser jüngster Sohn Johannes gesagt, er würde doch gern übernehmen.»
Eine Hofübernahme gelingt deutlich besser, wenn der Abgebende sich nicht mehr ganz so stark mit seinem Hof identifiziert. Zumal, wenn beide Parteien sich charakterlich so deutlich unterscheiden wie das bei Vater und Sohn Till ist.
Bauchmensch, Verstandesmensch
«Ich bin ein Bauchmensch», beschreibt Heinrich sich selbst. «Ich kann nicht schon beim Frühstück die Aufgaben verteilen. Ich dreh erst draußen eine Runde um den Hof. Dabei nehme ich auf, was zu tun ist – und arbeite das dann ab.»
Sein Sohn hingegen sei ein Verstandesmensch. «Der macht einen Plan. Ich bin dann manchmal nicht so sicher, ob dieser Plan auch funktioniert. Aber Johannes entgegnet dann: „Egal, Papa. Dann mache ich auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse halt einen neuen Plan.“».
Johannes ist gelernter Koch und Hotelbetriebswirt, er hat die Produktpalette des elterlichen Hofes längst erweitert. Mit der «Tollen Rolle», einem Fladenbrot, das zum Beispiel mit Tills Bergkäse gefüllt – und dann gegrillt wird.
Der Sohn bietet das mit seinem Foodtruck erfolgreich auf Festivals und Märkten an. In der Hofküche arbeitet er an neuen Produkten, etwa unterschiedlichen Sorten Ziegenfrischkäse. Dass der Hof reduziert, dass er zukünftig weniger Tiere hat, steht also erst einmal nicht mehr zur Diskussion.
«Ich denke eher, es werden noch ein paar Ziegen mehr», sagt Heinrich Till.
«Wer übernimmt heute noch Verantwortung?»
Kurt Vollmer hat lange nach einer außerfamiliären Nachfolgerregelung gesucht. Jetzt endlich, nach Jahren, kommt sie in den Blick.
Mathias Heybrock
«Jetzt braucht sich niemand mehr zu melden», berichtet Kurt Vollmer im Juli 2021 am Telefon. Er ist in guten Gesprächen über eine Nachfolgeregelung für seinen Hof und möchte auch an dieser Stelle mitgeteilt wissen, dass seine Suche nun abgeschlossen ist. Die Geschichte dieser Suche teilt etwas darüber mit, wie der Prozess einer Hofübergabe ablaufen kann – weswegen sie hier weiter erzählt wird.
Wambach ist ein idyllisches Bergdorf im Wiesental. Die Straße geht von Wies herauf, passiert nach einiger Zeit erste, vorgelagerte Bauernhäuser, führt dann in die Dorfmitte mit dem schönen Brunnen nebst Linde – und endet. Um den Ortskern herum sind weitere Höfe gruppiert, zu denen Stichstraßen führen.
Einer dieser Höfe gehört dem 71-jährigen Kurt Vollmer. Seine Großeltern haben dort bereits gewirtschaftet, die Eltern ebenso. Vollmer selbst hat nicht geheiratet und hat keine Kinder. Von seinen drei Schwestern sind zwei bereits verstorben. Die Älteste zog früh in die Schweiz. Dort führt sie zusammen mit ihrem Mann einen Bauernhof in der Nähe von Winterthur.
Der Hof in Wambach gehört Vollmer und Vollmer allein. Über eine Nachfolgeregelung macht er sich schon lange Gedanken. Systematisch jedoch begann er dieses Thema 2015 anzugehen. Damals besuchte er eine Reihe von Seminaren, die das Bildungshaus Kloster St. Ulrich zur außerfamiliären Hofübergabe anbietet. «Das hat mir schon richtungsweisende Einsichten gebracht, worauf man achten muss.» Auch die Ahnung, «dass es schwierig wird», hat Vollmer aus diesen Seminaren mitgenommen.
«Eine junge Familie sollte auf diesem Betrieb ihr Auskommen finden»
Leider hat diese Ahnung sich bewahrheitet. Und das, obwohl der Landwirt durchaus ein Pfund in die Waagschale zu werfen weiß: Sein Eindachhof, ein mittelgroßes kompaktes Gebäude, ist gut in Schuss. Zusätzlich zum alten Stall, der allein nicht mehr ausreichte, hat er hinter dem Haus noch einen zweiten, größeren, moderneren gebaut. «Eine junge Familie sollte auf diesem Betrieb ihr Auskommen finden», ist Vollmer überzeugt.
Der Betrieb konzentriert sich im wesentlichen auf Milcherzeugung. «Ich bewirtschafte etwas unter 20 Hektar Fläche» so Vollmer, je hälftig Eigentum und in Pacht. Das sind die Weide- und Heuflächen für die 10 Kühe und 12 Kälber, die der Landwirt durchschnittlich hält. Er produziert in Bioqualität.
«Meine Milch ist seit 20 Jahren bio»
«Für die ökologische Landwirtschaft habe ich mich früh interessiert», sagt Vollmer. Früher als viele andere besuchte er Seminare und Fortbildungen zu diesem Thema: «Meine Milch ist bereits seit 20 Jahren bio». Vollmer durfte sie nur lange nicht so nennen, weil der alte Tanklaster der Molkerei die entsprechende Zertifizierung nicht erfüllte. Seit zehn Jahren kommt ein neuer Tanklaster – und seitdem produziert der Wambacher auch offiziell bio. Mit dem Preis pro Liter ist er zufrieden, «das kann ich klar so sagen!»
Vollmer ist gelernter Handwerker und hat in diesem Beruf gearbeitet so lange seine Eltern den Hof noch führten. In dessen Instandhaltung und Modernisierung hat er viel Arbeit, viel Eigenleistung investiert. Er installierte etwa den Warmwasserkreislauf. Der funktioniert über eine Therme, die anstelle von Öl oder Gas mit Holz befeuert wird, das aus dem betriebseigenen Wald kommt. Diese Therme beheizt die beiden Wohnungen in Erd- und Obergeschoss, die etwa gleich viel Fläche haben.
«So bescheiden wie ich werden die wohl nicht mehr leben»
Vollmer fragt sich trotzdem, ob sein Hof in der bestehenden Form den Ansprüchen etwaiger Nachfolger genügt: «So bescheiden wie ich werden die wohl nicht mehr leben». Er meint damit nicht nur die schnörkellose Einrichtung seiner Küche. Sondern den ganzen Lebensstil: «Heute dreht sich ja alles um Spiel, Sport, Spaß.»
Solcher Dreiklang lässt sich mit Vollmers langen Arbeitszeiten tatsächlich nicht so einfach verbinden. Um 20.30 Uhr bringt er seine Milch herunter nach Wies, wo der Wagen der Molkerei sie dann abholt. Vollmer war lange Jahre in seiner Freizeit im Schwarzwald-Verein engagiert. «Aber als die ihre Sitzungen auf halb Acht vorverlegten, war das für mich eigentlich vorbei.»
Seinem Besuch der Seminare zur außerfamiliären Hofübergabe hat Vollmer schließlich Schritte folgen lassen. Er wandte sich an Martina Schaff, die Tochter einer Landwirtsfamilie auf der Baar, die selber einen Hof-Nachfolger außerhalb der Familie suchte. Inspiriert von der Suche ihrer Eltern, gründete Martina Schaff daraufhin eine Hofbörse im Internet. Online erscheinen dort Angebote von Landwirten, die Nachfolger, Käufer oder vielleicht auch Mistreiter suchen. Sowie Gesuche von Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten möchten, aber keine familieneigene Hofstelle haben.
Vollmer allerdings hat kein Internet. Er ärgert sich auch manchmal über die Auswüchse, die die digitale Ökonomie mit sich bringt
Vollmer allerdings hat kein Internet. Er ärgert sich auch manchmal über die Auswüchse, die die digitale Ökonomie mit sich bringt. «Alles, was man bestellt, kommt in einem einzelnen Paket und wird von einem anderen Versender gebracht. UPS, Hermes und wie die alle heißen – die fahren dann alle hier hoch.» Vollmer findet das unökologisch: «Die Post kommt doch sowieso!» Wenn er ein Ersatzteil für eine Maschine braucht, bestellt er es nur bei Händlern, die ihm zusagen, mit der Post zu liefern.
Martina Schaff, die Betreiberin der Online-Börse für außerfamiliäre Hofübergabe, kontaktierte Vollmer ebenfalls per Post. Er bat sie, ihm alle in Frage kommenden Gesuche zukommen zu lassen – und bekam daraufhin etwa 60 Anfragen geschickt.
Häufig wurde freilich gleich bei der ersten Kontaktaufnahme am Telefon klar, dass die Vorstellungen nicht zusammen passten. «Viele suchten größere Höfe mit mehreren hundert Hektar Fläche. Das sind aber Größenordnungen, die der Schwarzwald nicht bieten kann.»
Unter denen, die Vollmer zur einem Termin auf seinem Hof einlud, waren wiederum viele, die das Betriebskonzept umstellen wollten. «Einer hatte vor, Schweine zu züchten», erinnert sich Vollmer. «Das Fleisch wollte er dann direkt vermarkten.» Aber einerseits war Vollmer nicht überzeugt, ob die Gegend für Schweinezucht geeignet sei. Und auch beim Direktmarketing blieben für ihn Fragen offen. «Dann muss man auf die Märkte in Schopfheim oder Weil, ist stundenlang fort. Wer macht dann die Arbeit auf dem Hof?»
«Mit denen hätte ich mir das gut vorstellen können»
Andere Konzepte hätten einen noch größeren Umbau bedeutet. Ein Interessent wollte den Hof zukünftig als pädagogische Einrichtung für Behinderte führen. «Der hatte vor, den Hof vollkommen umzugestalten und mir dabei auch einen neuen Wohnteil einzurichten.» Da dachte sich Vollmer: «Got’s no? Das hätte bedeutet, zunächst einmal auf einer gigantischen Baustelle zu leben. Das will ich in meinem Alter nicht mehr.»
Doch auch ein junges Paar war unter den Interessenten, die Vollmer auf seinem Hof besuchten. «Die kamen aus dem Bayrischen, mit ihrem kleines Kind», berichtet er: «Mit denen hätte ich mir das gut vorstellen können.» Umgekehrt war es ganz genauso. Das Paar hätte die Milchwirtschaft übernommen, Vollmer monatlich eine Art Rente gezahlt, sich auch um ihn gekümmert, wenn er mal bei einem Handgriff Hilfe braucht.
Nur hatten die jungen Leuten ihren Familien zuhause gar nichts von ihren Plänen erzählt. «Und als sie denen dann erklärten, sie würden in den Schwarzwald ziehen, gab es wohl Widerstand», vermutet Vollmer. Jedenfalls sagten die beiden telefonisch schließlich doch ab.
Vollmers Bedauern darüber ist tief. Er braucht eine Nachfolgeregelung. Der Landwirt sieht zwar deutlich jünger aus als die 69 Jahre, die er zählt. Er sagt aber über sich, dass er jetzt manchmal die Gebrechen spürt, dass sein Körper nicht mehr wie früher mitmacht. Was, wenn er krank wird? Wenn, er den Betrieb allein gar nicht mehr aufrecht erhalten kann?
«Bei manchen, die sich hier vorstellten, hatte ich den Eindruck, die können fünf Kälbchen und drei Kaninchen versorgen – aber mehr nicht»
«Wer will heute noch Verantwortung übernehmen», fragt Vollmer sich. Einerseits für den Betrieb: «Bei manchen, die sich hier vorstellten, hatte ich den Eindruck, die können fünf Kälbchen und drei Kaninchen versorgen – aber mehr nicht.»
Andererseits aber eben auch für Vollmer selbst. Er möchte seinen Lebensabend auf dem Hof verbringen, den seine Familie über Generationen aufgebaut hat: «Doch wer will heute noch mit Älteren zusammen sein?»
Ohne Kompromisse geht es nicht, hat er im Laufe der Suche erkannt. Und auch, dass das schwierig ist, solche Kompromisse einzugehen: «Für die anderen, aber eben auch für mich.» Freilich könnte damit schon ein Schritt getan sein, der die Lösung näher bringt. Vollmers Suche geht weiter.
In der Bauernzeitung hat er von der Dienstleistungsgesellschaft Landsiedlung gelesen, die eine Hofbörse für landwirtschaftliche Betriebe in Baden Württemberg betreibt. Vielleicht findet sich auf diesem Weg jemand, der seinen Hof – und Verantwortung übernimmt.
«Wir lassen uns gern in die Karten schauen»
Reinhard Brender freut sich, dass sein Sohn Michael Hofnachfolger wird. Und mehr noch, dass Michael dabei mit einem alten Grundsatz bricht.
Von Mathias Heybrock
Ein Glücksfall, sagt Reinhard Brender, sei sein Sohn Michael. Eine Ausnahme.
«Man freut sich einfach», fährt der 61-jährige Landwirt aus Todtnauberg fort. «Weil man sich genau das wünscht. Dass jemand weitermacht». Mit dem Sunmattehof, oben am Hang, nahe der Lifte unterhalb der Kapelle in Todtnauberg.
Michael Brender wird ihn dann in der fünften Generation führen – sein Ur-Urgroßvater erwarb das Haus im Jahr 1888.
Eine Ausnahme sei der Michael, weil er zwar einerseits weitermacht – aber andererseits zum Glück nicht wie bisher.
«So haben wir das immer schon gemacht» – mit diesem alten Grundsatz wird nun gebrochen
«Mein Vater hat den Hof so geführt wie vor ihm mein Großvater», erklärt Reinhard Brender. «Und ich habe es dann so gemacht wie mein Vater.» Natürlich gab es Veränderungen, die Maschinen zum Beispiel kamen dazu. «Aber im Großen und Ganzen war es doch so wie es immer schon war.»
«So haben wir das schon immer gemacht», lautete der alte Grundsatz. Michael Brender bricht mit ihm. Schaut sich außerhalb des familieneigenen Hofes um, lässt sich inspirieren, kommt auf andere Ideen.
«Ich probiere halt gern aus»
«Schon als Teenager war er so», erinnert sein Vater sich. Da kam sein Sohn eines Tages mit einem Vorführ-Traktor heim. Er hatte etwas darüber gelesen, ging eigenständig zum Händler, lieh sich die Maschine für einen Test aus. Und sagte daheim dann: «Schau mal Papa, könnte das was für uns sein? Könnte der uns helfen? Würde uns das voranbringen?»
«Ich probiere halt gern aus», beschreibt Michael Brender es selbst. Er bespricht seine Ideen dann, in der Familie, auch außerhalb: «Es gibt hier im Ort einige Landwirte, die ebenfalls sehr engagiert sind. Wenn ich mich mit denen austausche, erhalte ich immer eine ehrliche Meinung.»
«Unsere Flächen hier oben sind überhaupt nicht schlecht»
Kürzlich überlegte Michael Brender, ob sich die Bodenqualität der hofeigenen Flächen verbessern lässt, in dem man Kalk ausbringt.
«Unsere Flächen hier oben sind überhaupt nicht schlecht», erklärt der Nachfolger zunächst. Auch nicht zu steil. 95 Prozent lassen sich mit dem Schlepper bewirtschaften. Moore gibt es ebenfalls keine.
«Aber ich hatte etwas über das Kalken gelesen», fährt Brender dann fort. «Es erschien mir einleuchtend – und ich wollte sehen, ob es was bringt». Also investierte er und lieh eine Maschine zum Ausbringen, «die größer war als mein Schlepper.»
Michael Brender findet, es hat sich gelohnt. Auch sein Vater stimmt zu: Er habe schon den Eindruck, dass da etwas passiert sei. Der Ertrag auf den Flächen erhöhe sich, das Gras sähe einfach gesünder aus.
Sich informieren, Vergleiche anstellen, von erfolgreichen Vorbildern lernen: Das sind die Grundsätze von Michael Brender. Er hospitierte bei einem Hof in Österreich. Auch bei einem Vollerwerb-Landwirt aus Bernau. Und fand, da könne man sich etwas für die eigene Landwirtschaft abschauen.
Ein Agraringenieur kommt zu Besuch
Brender machte einen Plan, wie er den Hof führen möchte, wenn er übernimmt (siehe untenstehendes Interview). Ein zentrales Element dabei ist der neue Stall, etwas oberhalb des Hauses. Der alte im Eindachhof selbst «ist einfach zu klein» sagt Michael. «Da ziehen wir dann rein», meint er mit Bezug auf sich und seine Freundin Lena.
Brender hat allerdings nicht nur ein Konzept erstellt – er ließ es auch auf Herz und Nieren prüfen. «Das war ein Tipp von dem Landwirt aus Bernau», so Brender, «der wusste, dass man das kostenfrei machen kann.»
Finanziert wird diese Prüfung vom Landwirtschaftsministerium in Stuttgart, das einen Agraringenieur aus Aitern beauftragte. Der kam, schaute sich den Hof an, ließ sich Brenders Plan erklären, berechnete auf der Grundlage heutiger Förderrichtlinien und befand – das wird klappen.
«Es wird sowieso alles transparent»
«Der hat uns auch gesagt, dass wir erst der vierte Hof im Landkreis sind, der das Angebot einer solchen Prüfung annahm» erinnert sich Reinhard Brender. Der Prüfer habe dafür folgende Erklärung «Viele Bauern lassen sich noch immer nicht gern in die Karten schauen.»
Familie Brender hatte überhaupt nichts dagegen. «Das ist ja schließlich auch die heutige Zeit», sagt Reinhard Brender: «Es wird sowieso alles transparent.» Selbst der Verdienst des Nachbarn, von dem man ja wisse, wieviel Fläche er hat und was er an Ausgleichszahlung dafür bekommt. «Das kann sich jeder ausrechnen.»
Transparenz ist immer gut, auch in der Familie: Wer möchte was, wie geht das mit den Plänen und Terminen der anderen zusammen. «Wir haben eigentlich immer versucht, einmal am Tag zusammenzusitzen», sagt der Vater. Jetzt, wo die Kinder erwachsen sind, wird es zwar schwieriger, «aber es klappt ziemlich regelmäßig immer noch.»
«Ich sag zum Vater schon mal, jetzt musst du das Mähwerk weg sperren»
Hinsichtlich der Hofübergabe gab es dabei nie viel zu bereden. «Meine ältere Schwester war nicht wirklich interessiert an der Landwirtschaft», sagt Michael Brender. Eigentlich habe sie sogar aus Todtnauberg weggewollte, fährt er fort und zeigt dann auf ein Haus unterhalb des Hofes: «Hat sich aber doch anders entschieden.» Auch Michaels jüngerer Bruder Florian wollte den Hof nicht. «Er ist mehr so der Handwerker und macht lieber Sachen im und um das Haus», sagt sein Vater.
Für Michael hingegen war es nie eine Frage. Er beschreibt Landwirtschaft als «eine Art Sucht. Ich mag eben die Maschinen. Ich sag zum Vater schon mal, jetzt musst du das Mähwerk wegsperren. Sonst fahr ich auch den ganzen Winter noch damit herum.“
Die Komplimente, die sein Vater ihm zu Beginn des Gesprächs machte, gibt er gerne zurück. «Ich habe ebenfalls Glück gehabt: Mein Vater hat mich immer machen lassen, ich durfte früh selbstständig Entscheidungen treffen.» Auf die Frage, ob diese Fähigkeit ein Erbe des eigenen Vater sei, überlegt Reinhard Brender einen Moment und schüttelt dann sachte den Kopf: «Eher von der Mutter.»
«Landwirtschaft soll nicht bloß Hobby sein»
Michael Brender ist Hofnachfolger auf dem Sunmattehof Todtnauberg. Für den entwickelte er ein neues Konzept.
Interview: Mathias Heybrock
Michael Brender, wie wirtschaftet der Sunmattehof heute?
Sehr ähnlich wie alle anderen Landwirte im Ort. Wir halten 5 bis 6 Kühe in Mutterkuhhaltung, die Kälber verkaufen wir. Eine weitere Einnahmequelle sind unsere drei Ferienwohnungen, die von meiner Mutter geführt werden. Den Hof betreiben wir im Nebenerwerb. Mein Vater und ich arbeiten beide Vollzeit. Im selben Beruf übrigens – Industriemechaniker.
Und was haben Sie in Zukunft vor?
Ich möchte den Mutterkuhbestand vergrößern, mehr Kühe und Kälber halten. Das kann ich aber nur mit einem größeren Stall, den ich bauen möchte.
Warum?
Wenn unsere Kälber geboren werden, können sie nur wenige Monate bei uns bleiben. Ab einer gewissen Größe wird es sonst zu eng im alten Stall. Wir geben die Tiere dann zur Erzeugergemeinschaft. Doch eigentlich geschieht das zu früh – wir verdienen dann kaum an den Tieren. Können wir sie länger halten, bleibt auch mehr Wertschöpfung bei uns.
Klingt gut.
Für die Tiere selbst ist es auch besser, die liegen mir nämlich am Herzen. Sie sollen nicht jung auf den Transporter und stundenlang in der Gegend herumkutschiert werden. Zukünftig wächst das Kalb bis zur Schlachtung bei der Mutter und anschließend zusammen mit den anderen Kälbern bei uns im Stall auf.
Wann haben Sie zum ersten Mal über einen neuen Stall nachgedacht?
Ich glaube, über den Stall denke ich nach, seit ich 14 bin, also mehr als die Hälfte meines Lebens. Aber richtig konkret erst seit zwei Jahren. Da begann ich mit meinem Konzept.
Was sind die nächsten Schritte?
Für den Stall stellen wir bei der Gemeinde bald eine Bauvoranfrage – einfach damit die wissen, da kommt etwas auf sie zu. Und dann brauche ich mehr Fläche.
Wieviel haben Sie jetzt?
Jeder Hof hier hat eigene Flächen. Bei uns sind es 3,5 Hektar. Zusätzlich bewirten die Landwirte auch Flächen, die im Besitz der Gemeinde oder privater Eigner sind. Bei uns sind das 13,5 Hektar. Diese Flächen erhält man ohne Pacht – bewirtet sie aber auch ohne finanzielle Gegenleistung von der Gemeinde. Man behält das Heu, dass man auf diesen Flächen macht.
Und wo kriegen Sie mehr Fläche her?
Ich bin zuversichtlich, dass ich sie von der Gemeinde kriege. Manchmal gibt es Bauern, die fast zu viel Fläche haben. Soviel Heuertrag können sie gar nicht brauchen. Aus Pflichtbewusstsein betreuen sie die Flächen aber trotzdem. Deswegen haben wir in der Gemeinde schon mal unseren künftigen Bedarf angemeldet. Flächen von Privaten werde ich wohl zusätzlich brauchen. Da muss ich halt Klinken putzen.
Und wie finden die anderen Landwirte Ihr Konzept? Sagt niemand, Du kriegst meine Flächen nicht, ich will selbst etwas Ähnliches machen?
Das habe ich jetzt eigentlich noch nicht gehört. Ich stoße eher auf Zustimmung. Auch, weil das Konzept nicht nur mir nutzt, sondern auch den anderen.
Ja?
Den Stall wird für 10 Kühe geplant, dazu kommen dann die Kälber. Von uns wird nur die Hälfte der Kälber sein, die zum Schlachten kommen. Den anderen Landwirten geht es genauso wie uns – sie geben ihre Kälber zu früh an die Erzeugergemeinschaft. Auch sie sollen ihre Tiere also bei uns einstellen können. Über die Art der Kompensation muss noch gesprochen erden – es soll sich für alle lohnen. Dann bleibt insgesamt mehr Wertschöpfung in Todtnauberg.
Es gibt im Ort also keine Konkurrenz um die Flächen?
Zum Glück eher nicht. Das liegt eben daran, dass für die kommunalen Flächen keine Pacht verlangt wird. Niemand kann nach Ende des Vertrages kommen und sagen, ich zahl dir einen Euro mehr oder zwei. Das hat die Generation meines Vaters gemeinsam entschieden, dass das so gemacht wird – da können wir noch heute dankbar für sein. Und zudem: Vielleicht finde ich ja auch noch eine Lösung, bei der ich gar nicht soviel Fläche brauche.
Wie?
Es gibt ja heute dieses Ding namens Internet. Da habe ich bei Recherchen gelesen, dass Gras ungefähr acht Wochen nach dem Schnitt den höchsten Nährwert hat. Das wussten natürlich schon die Alten – die haben nur nicht von Nährwert gesprochen, sondern gesagt, das Gras hört zu diesem Zeitpunkt auf zu wachsen. Und aufgrund dieser Information habe ich gedacht: Warum probiere nicht einmal den dritten Schnitt. Das hilft mir nämlich enorm. Ich habe dann mehr Futter-Ertrag auf der alten Fläche – und brauche weniger neue.
Ist es ungewöhnlich, drei Mal zu schneiden?
Im Ort sind wir schon ein paar Landwirte, die das versuchen. Üblicherweise schneidet man aber zwei Mal. Da wird man schon auch mal komisch angeschaut, wenn man das dann anders macht. Aber das kann ich aushalten. Es ist ein Experiment, wenn man so will. Ich mache das einfach gern, mag es, auszuprobieren: Was funktioniert, was nicht.
Können Sie ein erstes Fazit ziehen?
Mit dem ersten Jahr bin ich sehr zufrieden. Ich werde das auf jeden Fall weiterführen – richtig weiß man es ja erst, wenn man es ein paar Jahre gemacht hat. Ich muss natürlich darauf achten, dass die Flächen nach jedem Schnitt noch einmal eine Feuchtperiode bekommen, sonst kann nichts nachwachsen. Und ich achte auf die Artenvielfalt.
Wie?
Indem ich nicht die gesamte Fläche schneide, sondern jeweils nur die Hälfte – und die andere Hälfte später. So kann das Gras neu wachsen. Es können sich neue Blüten bilden, die Insekten dann wieder Nahrung geben.
Wie geht es jetzt weiter?
Erst einmal mache ich jetzt meine Ausbildung zum Landwirt. Im Nebenerwerb, das ist eine eigene Fachrichtung. Ich werde das in Waldshut machen, jeweils nach meiner Arbeit als Industriemechaniker. Ohne diese Ausbildung kann ich als Landwirt gar nicht gefördert werden.
Seit wann ist das miteinander verknüpft?
Seit 2010 glaube ich. Ich finde das auch gut. Früher lernten die Söhne auf den Höfen der Eltern. An der Schule kriege ich aber einfach noch mal eine andere Perspektive, weite meinen Blick. Das muss ich auch. Ich liebe Landwirtschaft…
Aber?
Ich möchte sie nicht nur als Hobby betreiben, das sich durch meinen Hauptberuf finanziert. Sie soll nicht mein einziger Beruf sein – aber eben einer, mit dem ich auch Geld verdiene.
Der Goldenhof in Dachsberg wird von einem gemeinnützigen Verein getragen. Zwei Familien mit dem Altersunterschied einer Generation führen die Landwirtschaft.
Mathias Heybrock
«Es ist nicht ganz klar, wie der Goldenhof zu seinem Namen kam», sagt Thomas Wälde, pensionierter Berufsschullehrer aus Dachsberg. «Die Bauern sagten früher, es wäre wegen der fetten Flächen.»
«Hier stand mal eine Burg», ergänzt der 37-jährige Landwirt Fabian Dreher. «Vielleicht gedieh der Hof dank ihr damals prächtig.»
Von einer Burg stehen heute jedoch nicht einmal mehr Reste auf dem Bildsteinfelsen – einem Hochplateau im Dachsberger Ortsteil Urberg, das zum Albtal hin schroff abfällt und dabei großartige Panorama freigibt.
«Und wegen der fetten Flächen…», meint Dreher leise lächelnd – «da machen wir leider etwas andere Erfahrungen.»
Er ist jetzt seit vier Jahren auf dem Hof. Zunächst nur mit einigen Stellenprozenten, die aber perspektivisch erweitert werden sollen: Dreher wurde geholt, um den 63-jährigen Bauern Uli Mohs zu unterstützen, der den Goldenhof seit 22 Jahren landwirtschaftlich führt.
Wie Dreher wirtschaftet auch Mohs im Angestelltenverhältnis auf dem Goldenhof. Der nämlich befindet sich im Besitz eines gemeinnützigen Vereins, dessen Mitglieder ihn gemeinsam tragen.
Ein Hof als Verein
Ein Hof als e. V.: Dieses Modell gibt es inzwischen häufiger in der Landwirtschaft. Zum Beispiel beim «Ackersyndikat», dessen Idee sich ungefähr so beschreiben lässt: Höfe werden gemeinschaftlich getragen. Der Verein «beauftragt» eine Familie oder eine landwirtschaftliche Gemeinschaft mit der Arbeit.
In diesem Modell ist der Hof dem Markt sozusagen entzogen. Es gibt keinen Eigner, der das Haus oder zumindest die Flächen ohne Weiteres verkaufen kann. Sei es, weil er keinen ihm passend erscheinenden Nachfolger findet, sei es aus anderen Gründen. Das kann helfen, den Hof zukunftssicher zu machen und ihn in seinem ursprünglichen Sinn zu erhalten.
Der Goldenhof ist nicht Teil des Ackersyndikats – aber schon sehr lange als gemeinnütziger Verein organisiert. Zweck dieser Konstruktion ist es, den Hof als pädagogischen Lernort für die Waldorfschule Dachsberg zu nutzen.
«Einen Schulgarten haben viele Schulen. Unsere hat eine Landwirtschaft»
«Einen Schulgarten haben viele Schulen. Unsere hat eine Landwirtschaft», meint Wälde. Er war jahrelang ehrenamtlicher Vorstand der Schule und ist mit der Geschichte des Goldenhofs bestens vertraut.
Wälde gibt eine kleine Führung über das weitläufige Gelände. Mehrere Schulgebäude liegen um den Hof herum verstreut, die Erstklässler haben eine gemütliches kleines Häuschen für sich.
«Die Kinder lernen hier, dass Lebensmittel nicht im Discounter wachsen», umschreibt Fabian Dreher das Konzept. In der «Landbau-Epoche» der jeweiligen 3. Klasse etwa wird zusammen Roggen angebaut. Aussaat, Ernte, Dreschen, Weiterverarbeitung: Die Schüler sind in jeden Arbeitsschritt eingebunden und erleben, wie aus Korn schließlich Brot wird. Auch Gemüse und Obst baut der Hof an, in kleinen Mengen, zur Versorgung der Schüler.
Tiere gibt es natürlich auch. Gänse und Hühner, Pferde und Kühe und manchmal auch Schweine. Die Schüler bringen das Heu, führen die Tiere zur Weide, misten den Stall aus. Und lernen dabei: Verantwortung. Selbsteinschätzung. Was kann ich bewirken? Wieviel Kraft habe ich?
Früher waren die Eigentümer des Goldenhofs im Bergbau tätig
Früher waren die Eigentümer des Goldenhofs im Bergbau tätig – Urberg war zunächst eine Bergarbeitersiedlung. 1969 kaufte dann der Schweizer Franz-Karl Rödelberger das Gebäude und die ihn umgebenden Flächen. «Eine charismatische Person», sagt Wälde. Rödelberger veranstaltete monatliche Hof-Führungen, Eintritt 5 Mark, die überregional legendär wurden.
Der gebürtiger Berner kam mit seiner Frau Marga, die er am Goetheanum in Dornach kennengelernt hatte. Von dort brachte er auch die landwirtschaftlichen Ideen der Anthroposophie an den Goldenhof. Sein Denken hatte früh stark ökologische Züge – aber auch leicht apokalyptische.
Rödelberger wollte wieder weg von einer Landwirtschaft mit Maschinen. Er setzte auf das Arbeiten von Hand. «Es war die Zeit der Ölkrise», sagt Wälde. «Er war überzeugt, die industrialisierte Gesellschaft bräche bald zusammen.» Deswegen wollte er die alten manuellen Techniken und Kenntnisse erhalten.
Für den erwarteten Zusammenbruch des Systems hatte der Visionär sogar ein Datum: 1998 sollte es geschehen. Erlebt hat Rödelberger den Tag nicht mehr. Er starb ein Jahr früher, mit 70 Jahren. Ein Unfall beim Kompostausfahren mit dem Pferd, das ihn regelrecht zu Tode schleifte, wie Wälde erzählt.
Von einer Walddorf-Pädagogik auf dem Hof hatte schon dessen erste Frau Marga geträumt. Die zweite, Anke, eine Lehrerin aus Hamburg, begann diesen Traum umzusetzen – zunächst mit einem Kindergarten.
Das Vereinskonstrukt stammt bereits vom alten Patron
Franz-Karl Rödelberger mochte zuweilen ein schwieriger Menschen gewesen sein. «Aber das, was er aufgebaut hatte, wollten wir unbedingt erhalten», sagt Wälde. Das Vereinskonstrukt hatte bereits der alte Patron dem Hof gegeben. Nun, nach dessem Tod, machte es erst recht Sinn – und half, den Hof zu erhalten.
Gebäudeerhalt, Verwaltung, Finanzen: Diese Aufgaben erledigten fortan Vereinsmitglieder ehrenamtlich. Für die Landwirtschaft stellte man Uli Mohs an, der bei Rödelberger in die Lehre gegangen war. Er lebt mit seiner Familie in einer Wohnung des Hofes – der auch noch einen Lehrer der Waldorfschule beherbergt sowie einige Zimmer für Praktikanten hat.
Uli Mohs liebt die Landwirtschaft. Irgendwann einfach die Füße hochzulegen und das Rentendasein zu genießen – das ist überhaupt keine Traumvorstellung für ihn. Er möchte rausgehen, arbeiten, schon allein, um sich fit zu halten.
Er möchte, nach 22 Jahren, aber doch auch einen Teil der Aufgaben abgeben, sich nicht mehr um alles allein kümmern müssen. Deswegen schaute sich der Verein nach jemanden um, der zusätzlich einsteigen könnte – und wurde bei Fabian Dreher fündig.
Dreher kennt den Goldenhof seit Kindheitstagen
Dreher kennt die Waldorfschule am Goldenhof schon seit Kindheitstagen, er wohnte in Menzenschwand. «Meine jüngeren Geschwister gingen hierhin. Beim Abholen war ich dann häufig dabei und hab mich hier oben getummelt.»
Damals wusste er noch nicht, dass er Landwirtschaft studieren würde, an der Hochschule von Nürtingen. Anschließend zog es ihn zunächst in die Stadt, mit Frau und Kindern nach Fürth.
Im nahen Nürnberg arbeitete er für ein Unternehmen aus dem Bereich der Biozertifizierung. Interessant – aber zu hundert Prozent Büroarbeit, und damit eigentlich das, was Dreher nicht unbedingt wollte. «Ich überlegte tatsächlich gerade, ob ich kündigen sollte, als das Angebot aus Dachsberg kam.»
Gemeinsam mit der Familie entschied Dreher, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Sie haben ein eigenes kleines Haus auf dem Gelände des Goldenhofs. Die Kinder können unbeschwert ins Freie, es gibt keinerlei Durchgangsverkehr. Und die Schule liegt natürlich auch gleich vor der Tür. Ideale Bedingungen.
«Wenn Sie durch unsere Gegend fahren, sehen Sie, dass viele ehemalige Bauernhöfe zu reinen Wohnhäusern umgebaut wurden»
Beziehungsweise: Halbideal. Denn wirtschaftlich ist der Goldenhof nicht unbedingt auf Rosen gebettet; wie so viele Landwirtschaften im Schwarzwald. Nicht umsonst ist das Höfesterben dort seit Jahrzehnten massiv. «Wenn Sie durch unsere Gegend fahren, sehen Sie, dass viele ehemalige Bauernhöfe zu reinen Wohnhäusern umgebaut wurden», sagt Wälde – der im Dachsberger Ortsteil Happingen ebenfalls in einem umgebauten Bauernhaus lebt.
Wenn es den Verein nicht gäbe, gäbe es vielleicht auch den Goldenhof nicht mehr, zumindest nicht in dieser Form. Die Hochebene, auf der er liegt, ist eine absolute Gunstlage – man könnte sich da oben so manches Projekt eines solventen Investoren vorstellen. «Das pädagogische Konzept wollen wir aber unbedingt erhalten» sagt Dreher. Gleichzeitig jedoch gilt es, die finanzielle Situation zu verbessern.
„Der Goldenhof erwirtschaftet in dem Sinne ja nichts“, erklärt Wälde. Er ist für die Schule da, die ihr Budget aber größtenteils selbst braucht, für Lehrkräfte, Materialen und Infrastruktur.
Die staatlichen Zuschüsse sind fix, die Zuschüsse durch die Eltern nicht zu steigern. «In einer wohlhabenden Stadt wie Freiburg könnten wir für unser pädagogisches Konzept deutlich mehr verlangen», sagt Wälde – und damit querfinanzieren.
Alter Hof, neue Ideen
Dreher wurde geholt, um neue Ideen an den Hof zu bringen. Er ist jung und hat viel Energie. Er steht voll hinter dem pädagogisch-ökologischen Konzept. Er ist gleichzeitig gänzlich unideologisch – und so ausgebildet, das er auch betriebswirtschaftliche Seite des Landwirtschaft im Blick behält.
Bis jetzt habe man sich hier oben eher so durchgewurschtelt, findet Dreher. Zwar will er nicht gleich alles auf den Kopf stellen. «Aber ein bisschen freilich muss man schon schauen, was Sinn macht und was nicht.»
Als Beispiel nennt Dreher die Versorgung der Kühe: Jedes Tier bekommt sein Heu einzeln von Hand, aus der Scheune, getragen im Sack. In der Schulzeit machen das die Kinder, die dabei sehr viel lernen.
Am Wochenende aber sind die Kinder nicht da, und auch in den Ferien nicht regelmäßig. «In dieser Zeit könnte ich auch mit dem Schlepper eine Fuhre Heu aufnehmen und verteilen. Dann spare ich satte zwei Stunden Zeit, die ich anders nutzen könnte.»
Uli Mohs allerdings hat es immer von Hand gemacht und würde es auch zukünftig gern so machen. «Ist ja auch klar», äußert Dreher Verständnis. «So wurde schon unter Rödelberger gearbeitet, Uli hat das als sinnvoll erlebt. Das war immer das System des Hofes.» Dreher erlebt ihn bei gemeinsamen Gesprächen auch als sehr offen und kooperativ. «Ich merke aber gleichzeitig, wie ihm der Gedanke an Veränderung schwerfällt.»
Generationenkonflikte gibt es überall, nicht nur in der Landwirtschaft. Die Vorstellungen des jungen Landwirtes unterscheiden sich eben häufig von denen des älteren. Thomas Wälde versteht sich in diesem «Konflikt» als Moderator. In regelmäßigen Abständen trifft man sich zu dritt, tauscht sich aus, redet über die Zukunft.
Dreher treibt Dinge voran, die es bislang auf dem Hof nicht gab.
Im Moment lautet die Lösung, dass sich Dreher noch nicht um die Neuausrichtung des Goldenhofs kümmert. Er hat einige der bisherigen Aufgaben übernommen, auch die administrativen, das Schreiben der Förderanträge etwa. «Das mach ich auch noch für ein paar ältere Landwirte aus der Gegend, die das selbst gar nicht mehr richtig schaffen, aus diesen Bürokratiewust schlau zu werden.»
Und dann treibt er Dinge voran, die es bislang auf dem Hof nicht gab – also auch nicht in Ulis Bereich fallen.
Dreher hat zum Beispiel die Imkerei auf dem Goldenhof gebracht. Neben der «klassischen» Imkerei auch die Zeidlerei – das ist eine uralte, seit dem Mittelalter bekannte Form der Imkerei, bei der man den Honig von wilden oder halbwilden Völkern sammelt. Die Bienen werden nicht in Körben oder Behausungen gehalten, sondern in vom Zeidler geschaffenen Hohlräumen wie einem hohlen Baumstamm.
Das Bienenhaus
Das Projekt, das vom Biospährengebiet gefördert wird, dient der Stärkung der Biodiversiät. Es ist zudem ein weiterer Lernort für die Schüler – und für alle, die den Goldenhof passieren.
Der Hof liegt direkt am 2017 neu eingerichteten Wanderweg Albsteig Schwarzwald, der von Albbruck zur Passhöhe am Feldberg führt. Etwa einen Kilometer lang geht die Passage entlang der Gemarkung des Hofes. Auf diesem Wegstück stehen jetzt sechs vier Informationstafeln, mit Texten über die Zeidlerei und den Goldenhof.
Die letzte dieser Tafeln steht in der Nähe des neu errichteten «Bienenhauses» auf dem Hofgelände. In diesem Raum können die Wanderer noch etwas tiefer ins Thema eintauchen – und sich anschließend mit Kaffee und Kuchen stärken, wie Thomas Wälde die Zukunftspläne beschreibt. Den Aktiven im Trägerverein schwebt eine saisonale Straußenwirtschaft vor.
Pädagogik bleibt der Kern des Konzepts
Wie viele landwirtschaftliche Betriebe denkt also auch der Goldenhof über touristische und gastronomische Konzepte als weitere finanzielle Standbeine nach. Auch Ferienvermietung wäre möglich. Das schmucke, leicht erhöht stehende Häuschen, das Rödelberger auf dem Gelände für seine zweite Frau errichten ließ, wäre dafür geradezu ideal.
Klar bleibt aber, dass das pädagogische Konzept immer im Zentrum stehen soll. Die meisten der Schülerinnen und Schüler machen den Abschluss Mittlere Reife nach 12 Schuljahren, sagt Wälde: «Wobei ich aus eigener Berufserfahrung als Lehrer sagen kann: Unsere Mittlere Reife ist um einiges reifer als diejenige einer normalen Schule.»
Silke und Jürgen Bender haben außerfamiliär übernommen. Ihren Hof erwarben sie bereits vor 25 Jahren, später kam ein zweiter hinzu. Es ist eine Höhenlandwirtschaft – deren Zukunft sie in einer Stiftung sehen.
Von Mathias Heybrock
Der Untere Wittenbach liegt auf gut 900 Metern Höhe im Tal von St. Wilhelm, einem Ortsteil von Oberried. Es ist ein klassischer Schwarzwaldhof, kompakt, wunderbar anzuschauen. Anno Domini 1774, sagt eine verschnörkelte Inschrift. Neben der Tür prangt der imposante Schädel eines Stiers.
«Das ist Ludwig», stellt Silke Bender vor. Ludwig war lange Jahre Zuchtbulle auf dem Unteren Wittenbach. Spät in seinem Leben brachte er es zu einiger TV-Berühmtheit – doch das ist eine andere Geschichte.
Nach Ludwigs Tod hat Georg, der jüngste Sohn der Benders, den Schädel gebleicht und an der Hauswand angebracht. «Ist eigentlich ja eher ein bisschen amerikanisch», wie Silke Bender mit leicht skeptischem Unterton findet.
Sie ist in Staufen geboren. «Mein Vater war Versicherungskaufmann. Mit Landwirtschaft hatte ich nichts am Hut.» Jedenfalls nicht, bis sie Jürgen traf, der im nordbadischen Städtchen Calw aufwuchs. Er arbeitete dort als Feinmechaniker, war aber unglücklich in diesem Job.
Jürgen wollte eine eigene Landwirtschaft – und zwar nach seinen Vorstellungen, biologisch dynamisch. «Und ich», sagt Silke, «hab gesagt: Ja, kann ich mir vorstellen!»
Nach Staufen kam Bender, weil er dort auf dem Hof eines Freundes zwei Kühe halten konnte. «Das war der Anfang», erzählt seine Frau. «Er hat versucht, sich etwas aufzubauen.» Bender schlug damals auch schon Holz, ganz traditionell, herausgerückt mit dem Pferd. Er wollte eine eigene Landwirtschaft – und zwar nach seinen Vorstellungen, biologisch dynamisch. «Und ich», sagt Silke, «hab gesagt: Ja, kann ich mir vorstellen!»
Die Suche nach einem eigenen Hof ging lang und führte Benders weit fort. Bis nach Thüringen, um genau zu sein, wo sie mit zwei Landwirten über eine Hofübernahme sprachen. Es hat sich aber in beiden Fällen zerschlagen.
«In einem Fall wollte der alte Bauer gern auf dem Hof bleiben», berichtet Silke. «Das war aber ein sehr starker Charakter. Wir hatten nicht das Gefühl, dass der uns einfach machen lässt. Der hätte womöglich noch vorgeschrieben, wieviel Milch in den Kaffee kommt. Jürgen aber hatte sich in seiner Ausbildung lange genug alles vorschreiben lassen. Er hat das gehasst. Er wusste selbst, was er wollte und was nicht.»
»Jürgen hatte sich in seiner Ausbildung lange genug alles vorschreiben lassen. Er hat das gehasst. Er wusste selbst, was er wollte und was nicht.»
Zudem hatte Jürgen Bender sich inzwischen selbstständig gemacht, mit einem Forstbetrieb. Bei der Arbeit hörte er eines Tages vom Hof Unterer Wittenbach, der sich im Besitz des staatlichen Forstes befand. Wie damals einige Höfe im Schwarzwald. Im nahen Zastlertal zum Beispiel, das sich aufgrund dieses Phänomens – Bauernhöfe in Staatsbesitz – im «Spiegel» als «Das rote Tal» beschrieben fand.
«Der Untere Wittenbach wurde lange als Unterkunft für Forstleute genutzt, die nebenher auch noch ein paar Kühe hielten», erzählt Silke. «Als wir ihn uns anschauten, stand er aber bereits zehn Jahre lang leer. Er war ziemlich verfallen.»
Die Kosten der Instandsetzung übernahm der Forst. Benders steckten zudem viel Eigenleistung hinein, wodurch sich die Miete reduzierte. Zunächst nämlich war der Hof gemietet. Inzwischen hat die Familie ihn gekauft. Vier Kinder wurden dort groß. Drei sind bereits ausgezogen, allein Georg lebt noch daheim.
20 Hektar Land bewirtschaften die Benders, langfristig gepachtet. Sie halten Hühner und Ziegen, zwei Schweine und Rinder in Mutterkuhhaltung. Zum Schlachten kommt das Vieh zu einem Metzger nach Sölden.
«Früher haben wir auch gemolken», erzählt Silke. Nur zur Selbstversorgung allerdings. Im Moment melken sie nicht mehr, weil sie zu dritt nicht so viel Milch brauchen. Und weil es Arbeitszeit spart. Jeden Abend die Kühe zum Melken in den Stall treiben, jeden morgen nach dem Melken wieder heraus. «Drei Stunden pro Tag sind es mindestens», sagt Bender, die gleichwohl überlegt, ob die Familie das Melken wieder anfangen soll. «Ich finde, irgendwie gehört es dazu.»
Als Benders vor 25 Jahren auf den Unteren Wittenbach zogen, war der Wald ziemlich nah. «Mein Mann musste hier erst einmal öffnen.» Wenn man heute auf der Bank vor dem Hof sitzt, schaut man auf lichte Hänge, teilweise von uralten Trockenmauern durchzogen. «Unsere Ziegen halten die aber natürlich nicht auf, da ziehen wir eigene Zäune.»
Linker Hand, gut 200 Meter Luftlinie das Tal hoch, lugt hinter einer Baumgruppe ein weiterer Schwarzwaldhof hervor: Der Mittlere Wittenbach. Er ist nicht minder schön als der Untere – ja, womöglich noch einen Hauch urtümlicher.
«Als wir hier ankamen, lebte dort noch die alte Bauersfrau Anna», erinnert sich Silke Bender. «Das war eine tolle Frau, wir kamen prima miteinander aus.» Anna erzählte, wie es früher in der Landwirtschaft war. Sie stammte vom Mittleren Wittenbach, ihr Mann kam aus dem Freiburger Stadtteil St. Georgen – wo er Reben und Getreide als weitere ökonomische Standbeine hatte.
«Der Austausch war rege, wir waren froh, dass sie da war. Wir gingen ihr auch manchmal ein bisschen zur Hand», erinnert Silke sich. Im Jahre 2000 ist Anna dann gestorben.
Der Hof war anschließend zunächst zehn Jahre lang anderweitig vermietet, ohne Landwirtschaft. Dann einigten Silke und Jürgen Bender sich mit den Erben auf eine Nutzung durch die Familie Bender – in einem zunächst auf sieben Jahre angelegten Vertrag.
Den Ökonomieteil des Mittleren Wittenbach haben sie jetzt übernommen, dort stehen im Winter die Ziegen. Aus dem Hof selbst machten Benders eine Ferienwohnung. Genau eine – das Innere wurde also nicht parzelliert, sondern blieb in seinem ursprünglichen Zuschnitt erhalten.
Unten die Wohnstube mit Küche, oben drei Zimmer, liebe- und stilvoll eingerichtet. Fernsehen und Internet gibt es nicht: «Das sag ich bei allen Interessenten immer noch einmal ausdrücklich dazu.»
Dafür weiden Benders Ziegen direkt vor der Haustür. «Und wenn unsere Gäste Kinder haben, kommen die natürlich auch gern zu uns herunter, zu unseren Katzen und Hunden.»
Wie für viele Landwirte ist der Tourismus für auch für Familie Bender ein wichtiges Standbein geworden: Ihr Gäste erhalten Naturerlebnisse und Einblick in naturnahe Landwirtschaft, die Familie im Gegenzug zusätzliche Einnahmen. «Das läuft sehr gut», ist Silke Bender zufrieden. Muss es allerdings beinahe auch, wie sie fortfährt, denn: «Von Landwirtschaft lässt sich hier oben nicht leben.»
«Wir haben uns das vor Kurzem einmal ausgerechnet», erklärt die Landfrau. «Wenn wir unsere Arbeitszeit einrechnen – und zwar ganz moderat, nicht als die langen Tage, die es oft sind. Dann müssen wir feststellen: Der Hof hat uns in diesen 25 Jahren keinen Cent gebracht. Im Gegenteil, er hat gekostet.»
Das ist kein gutes Modell, und erst recht keines mit Zukunft. Die Benders werden ja nicht jünger, denken allmählich über mögliche Nachfolger nach. «Was, wenn der- oder diejenige keine Möglichkeiten hat, den Hof durch eine andere Arbeit mitzufinanzieren?», fragt Silke Bender. Auch die Einnahmen aus der Ferienvermietung seien nicht auf ewig sicher.
Benders haben sich deswegen folgende Lösung überlegt: Sie wollen eine Stiftung gründen, die Lebensraum Wittenbach heißen soll. «Uns gaben bereits mehrere Menschen das Signal, dass sie das eine hervorragende Idee finden, dass sie zu diesen Zweck Kapital stiften würden», sagt Silke.
Der Antrag liegt nun beim Regierungspräsidium, das freilich noch Bedenken hat. Dort überlegt man, ob eine dem Gemeinwohl verpflichtete Stiftung einen «Wirtschaftsbetrieb» unterstützen darf.
„Natürlich sind wir als landwirtschaftlicher Betrieb angemeldet, wie jeder Hof“, entgegnet Bender. «Aber wir produzieren hier oben keine Erzeugnisse in dem Sinn, das wir gewinnbringend verkaufen. Wir selbst nennen es deswegen auch gar nicht mehr Landwirtschaft. Das was wir machen, nennen wir Offenhaltung der Landschaft. Es ist Naturschutz.»
Der Untere Wittenbach liegt mitten im Naturschutzgebiet Feldberg. Die Benders bewirtschaften Steillagen, die kleinteilig und arbeitsintensiv sind. Die Trockenmauern sind ein Refugium für Insekten und Eidechsen, ein Nistplatz für Vögel – und herrlich anzuschauen. Wirtschaftlich sind sie nicht. Vieles muss hier oben von Hand geschehen. Erst recht auf den Sumpf- und Feuchtflächen, die die Benders bewirtschaften. Ein Schlepper würde dort einsinken.
Wer zu Besuch ist, empfindet die Gegend als Idyll, insbesondere wenn die Sonne so angenehm scheint wie heute: Zwei knorrige alte Höfe, in die grüne Landschaft gekleckst.
«Für uns ist aber keineswegs jeden Tag ein Idyll», sagt Frau Bender. Es ist harte, körperlich zehrende Arbeit, die Landschaft so zu erhalten wie sie ist. Es ist zudem eine Arbeit für die Allgemeinheit – Naturschutz dient dem Gemeinwohl.
Vor Kurzem kam jemand von der Naturschutzbehörde, der anschließend bestätigte, das eine solche Höhenlandwirtschaft mit gewinnbringendem Wirtschaften nicht in Einklang zu bringen ist. «Jetzt hoffen wir», so Bender, «dass das akzeptiert wird.» Ganz ausgemacht ist es noch nicht.
Was freilich bereits sicher ist, ist, dass Benders hier oben bleiben wollen, auch nach der Rente. Deswegen bauen sie gerade einen Teil der Scheune zu einer separaten Wohnung aus.
Zunächst einmal wird Benders Tochter Maria einziehen, die im Moment mit Mann und Kind in Oberried wohnt. Das allerdings ist nur eine Zwischennutzung. Perspektivisch ist die Wohnung für diejenigen gedacht, die den Hof einmal übernehmen. Sei es familiär. Oder außerfamiliär.
Wenn der Sohn zurückkommt und dann tatsächlich übernehmen will – dann sind die Benders entschlossen, ihm den Freiraum zu geben, den ihnen selbst der Thüringer Bauer nicht geben konnte oder wollte.
«Unter den Kindern hat nur Georg Interesse», erzählt seine Mutter, er möchte eine Ausbildung zum Landwirt machen. «Im Moment aber hat er wohl manchmal das Gefühl, es könne schwer werden, unsere Erwartungen zu erfüllen», ergänzt sie dann.
Silke und Jürgen Bender unterhalten sich inzwischen viel darüber, was das bedeuten wird, gemeinsam mit dem Nachfolger auf dem Hof zu sein, gerade in psychologischer Hinsicht.
«Nach so vielen Jahren Berufserfahrung ist Jürgen selbst ein ziemlich starker Charakter mit klaren Vorstellungen, wie es laufen soll», berichtet seine Frau. «Andererseits erinnert er sich aber auch ganz genau, wie wenig er es selbst das Hereinreden gemocht hat. Ich glaube also, wir kriegen das hin.»
Georg nimmt sich jetzt ohnehin erst einmal eine Pause von den Eltern, ein Jahr Neuseeland. Seine Mutter findet das gut. Weil sich so etwas löst, weil für alle Räume entstehen, die dann neu und anders definiert werden können.
Wenn der Bub zurückkommt und dann tatsächlich übernehmen will – dann sind die Benders entschlossen, Georg den Freiraum zu geben, den ihnen selbst der Thüringer Bauer nicht geben konnte oder wollte. Ein erstes Zeichen dafür ist gesetzt: Georg durfte schließlich den Schädel von Ludwig anbringen.
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